Tom Thorne 06 - Die Geliebte des Mörders
verletzt werden. Ihrer Meinung nach zeigte diese Seite an ihr ihren guten Charakter. Darauf war sie stolz. Nach allem, was sie durchgemacht hatte, die ganze Scheiße, mit der sie als Mädchen fertig werden musste, wäre es kein Wunder gewesen, wenn sie eine bösartige, rachsüchtige Kuh geworden wäre. Wenn sie es darauf angelegt hätte, anderen wehzutun, nur damit es ihr selbst besser geht. Sie kannte solche Leute, und sie verachtete sie. Nein, sie wollte nur ihr Leben genießen und es sich gut gehen lassen, um die ganze Scheiße zu vergessen. Und dabei ging es ihr immer besser, wenn niemand leiden musste. Zumindest nicht durch ihre Schuld. Natürlich hatte es immer wieder mal einen Blödmann gegeben, der nicht mitspielte, Unfälle ließen sich nicht ausschließen. Und da war der Dealer gewesen, wegen dem sie sich an Conrad gewandt hatte. Aber das war Abschaum, der nicht zählte und verdiente, was er bekam.
Wenn schlechten Menschen ein Unglück widerfuhr, war das kein Grund, sich groß aufzuregen.
Der Junge, Luke, war kein schlechter Mensch, und er hatte das alles nicht verdient, das war ihr klar. Er war nur Mittel zum Zweck – Kohle zu machen. Er war ihre Spielzeugknarre. Sie dankte Gott, dass alles gut lief und er die Sache ohne einen Kratzer überstand.
Conrad war sich da nicht so sicher gewesen und hatte gesagt: »Ja, aber vergiss nicht, was er vielleicht später deswegen durchmachen wird. Was das seelisch für ihn bedeutet.«
Sie hatte sich umgedreht und war ein wenig von ihm weggerückt und hatte ihm somit klargemacht, dass sie das wohl kaum vergessen würde.
Sie fühlte sich bereits milder, nachsichtiger. Sie fühlte sich gelöst und locker. Ob es besser wäre, den Jungen wieder zu fesseln, jetzt, wo alles gleich losging? Damit er fertig war? Und dann, als die Droge immer stärker wirkte, stellte sie sich vor, wie sie und Luke sich in zehn Jahren oder so treffen würden. Zufällig, bei einer trendigen Party oder in einem Club. Und wie nett es wäre. Er wäre locker drauf und freute sich, sie zu sehen. Erzählte ihr, er habe ihr die ganze Zeit über sagen wollen, dass alles in Ordnung sei. Und damals, als das alles passierte, in der Wohnung, sei er etwas verknallt in sie gewesen. Und dass ein paar üble Albträume ein kleiner Preis waren für einen neuen Blick aufs Leben. Sie würde dem Typen, mit dem sie dann zusammen war, Luke als alten Freund vorstellen, bevor sie langsam mit Luke tanzte. Was absolut cool wäre …
Sie bekam nicht mehr richtig mit, dass Conrad ins Zimmer kam, während sie wegdämmerte. Luke hatte die Arme um sie gelegt und flüsterte ihr ins Ohr, bedankte sich für ihr Geschenk – eine dickere Haut, als andere Menschen sie hatten.
Donnerstag
Siebtes Kapitel
Es war irrsinnig früh, sein dritter Tag, und Tom Thorne war früher auf als die Sonne …
Ihre nächtliche Abwesenheit hatte die Abläufe deutlich verlangsamt. Ein wesentlich größerer Aufwand musste betrieben werden, um an dringend benötigte Informationen zu kommen. Nicht die Wichtigkeit des Falls war entscheidend, wie viele Tote gefunden worden waren, wie groß die Bedrohung für Leib und Leben oder wer gekidnappt worden war. Es war einfach so, dass die meisten Leute, die meisten Nicht-Bullen, um fünf Uhr alles stehen und liegen ließen. Außerhalb der Bürozeiten eine Information zu bekommen war immer schwierig. Zugang zu einer gesicherten oder privaten Datenbank – bei einer Hausverwaltung, dem Sozialamt, Barclay’s Bank oder Virgin Mobile – war ein Glücksspiel, solange die Autobahnen leer waren. Häufig ging es darum, die Telefonnummer des Unglücklichen herauszufinden, der an der 24-Stunden-Hotline saß. Oder den Namen des wirklich armen Teufels, der dann mitten in der Nacht aus dem Bett geholt wurde.
Für die Adresse ihres Hauptverdächtigen hatte die Kidnap Unit vier Stunden gebraucht. Und das alles verdankten sie Conrad Allens Begeisterung für Autos.
Via M-CRAC konnten die Polizeibeamten auf das CRIMINT-System in Mile End zugreifen und sämtliche Details von Allens Festnahme in 2002 abfragen. Sie ließen das Kennzeichen durch das System laufen und erfuhren, dass der Wagen vor einem Jahr verkauft worden war. Der Student, der ihn gekauft hatte – und der noch wach war und an seiner Playstation trainierte –, erinnerte sich an Conrad Allen. Er erinnerte sich daran, wie er ausführlichst das Auto beschrieb, das er sich als Nächstes kaufen wollte. Eine Stunde später wurde ein kleiner Autohändler in Wood
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