Tom Thorne 06 - Die Geliebte des Mörders
wechseln uns wöchentlich ab. Ich hab momentan die Tagesschicht, also kann ich in meinem Bett schlafen.«
Hollands Blick schweifte zu den Klebezetteln an der Kühlschranktür und dem ausgedruckten und laminierten Dienstplan an einem der Küchenschränke. »So hab ich mir immer das Studentenleben vorgestellt«, sagte er. »Nachrichten an die anderen in der Wohngemeinschaft, sie sollen endlich abspülen und die Finger vom Joghurt lassen. Wie in diesen ganzen Soaps …«
»Das geht ziemlich in die Richtung«, sagte Warren, »nur gibt’s hier mehr Gewalt und weitaus weniger Spaß in der Kiste.«
Damit hatte er anscheinend Heeneys Interesse geweckt. »Und warum?«
»Zum einen haben wir hier nur Männer, nicht dass das einen großen Unterschied machen würde. Aber die Bewohner dürfen keine Beziehung haben, solange sie hier sind. Wir wollen ja keine Abhängigkeiten unterstützen.«
»Wie lange sind sie hier?«, fragte Heeney.
»Kommt drauf an, aber maximal achtzehn Monate.«
»Oh, Scheiße.«
»Hängt davon ab, ob sie durchhalten oder ob sie eine Sozialwohnung zugewiesen kriegen.«
»Da werden bestimmt jede Menge Pornos geguckt …«
Grinsend zog Warren an seiner Zigarette. Aber er amüsierte sich eher über den Polizisten als mit ihm.
Durch das Küchenfenster sah Holland in einen langen, schmalen Garten, an dessen Ende sich ein Schuppen und ein Tisch mit Stühlen befanden. Das Gras musste dringend gemäht werden. Als eine große Elster sich von einem Zaunpfosten aufschwang und auf dem Boden landete, war sie so gut wie nicht mehr zu sehen.
»Warum haben Sie aufgehört?«, fragte Holland, den Blick auf den Kalender und das Gedicht darunter geheftet. »Warum haben Sie sich entschieden?«
»Ich wollte von dem Tag an aufhören, an dem ich damit angefangen hatte«, sagte Warren. »Besser gesagt, mir war klar, dass ich aufhören sollte. Ich war Drogenberater und selber süchtig, ich hab also genau gewusst, wie ich mich in die Scheiße reite. Aber man hört erst auf, wenn einem nichts anderes mehr übrig bleibt. Bis der Körper sich bemerkbar macht oder etwas im Leben passiert, was nicht mehr gutzumachen ist.« Draußen sprang eine Katze mit langem, verfilztem Fell auf das Fensterbrett. Warren beugte sich zu ihr und klopfte sacht mit dem Fingernagel gegen die Scheibe, sah zu, wie sich die Katze an der Scheibe rieb. »Ehrlich gesagt lässt sich das selten an einem bestimmten Moment festmachen, aber wenn Sie einen wollen, dann war das wahrscheinlich der, als meine Mum starb und mein Bruder und meine Schwester mich nicht mit der Toten allein ließen aus Angst, ich könnte ihren Schmuck klauen.«
Holland bemerkte, dass sogar Heeney soviel Anstand besaß, einen Augenblick lang auf seine Schuhe zu blicken.
»Ja.« Warren wandte sich zu ihnen um und drückte seine Zigarette aus. »Das war ein ziemlicher Schlag ins Gesicht.«
»Da haben Sie beschlossen aufzuhören?«
»Nein, nicht mal da.« Er schmunzelte, als fände er das im Nachhinein alles ungemein lächerlich. »Aber das war der Punkt, an dem meine Familie mich dazu gezwungen hat aufzuhören.«
»Wie eine ›Intervention‹ oder so was?«
»Na ja, die britische Version davon. Meine Schwester hat nicht mehr mit mir geredet, und mein Bruder hat mich halb tot geprügelt.«
Holland kam nicht umhin, von dieser Offenheit, dieser augenscheinlichen Ehrlichkeit, beeindruckt zu sein. Er hatte anscheinend vor langer Zeit aufgegeben, sich zu verstecken. »Und wann war das?«, fragte er.
»Ich bin jetzt fast zwei Jahre clean, und ungefähr genauso lang war ich auf Drogen.«
Holland überschlug das im Kopf und kam auf ein interessantes Ergebnis. »Dann fingen Sie also an, Drogen zu nehmen, als Sie bei dem MAPPA-Projekt mitarbeiteten.«
»Mit Kokain fing ich erst so richtig 2001 an.«
»Um die Zeit, als der Ausschuss aufgelöst wurde?«
Warren zupfte sich einen Tabakfaden von der Zunge. »Um den Dreh rum. Ich könnte nachsehen, aber ich glaub nicht, dass ich in meinem Tagesplaner die Zeile finde ›habe meine erste Line gekokst‹ …«
Das plötzliche Gebrüll nebenan unterbrach ihn. Es wurde lauter, als die Tür aufflog. Ein klapperdürrer Junge im Teenageralter, nicht viel älter als Luke Mullen, stürmte in die Küche und brüllte, wild um sich fuchtelnd.
Die Katze auf dem Fensterbrett machte sich aus dem Staub.
»Diese Schwuchtel Andrew hat mich vor der Gruppe blöd angemacht. Hat allen erzählt, ich hätte über Stoff gesprochen … über Stoff, den ich genommen
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