Tom Thorne 06 - Die Geliebte des Mörders
hatte ihn eine gefragt.
Er ging um das Bett herum, und sie spürte Panik in sich aufwallen. Er musste es ihr angemerkt haben, vielleicht hatte sie auch ein Geräusch gemacht, denn er bedeutete ihr, still zu sein.
»Ich weiß, dass Sie mir nicht wehtun wollen«, sagte sie.
Er kam näher.
»Ich weiß, dass Ihnen das nicht gleichgültig ist.«
»Jetzt seien Sie ruhig …«
»Sie sind schuld, dass ich ins Bett gemacht habe.« Sie bemühte sich, ruhig zu sprechen, als schimpfe sie ein Kind aus, wolle ihm aber keine Angst einjagen. »Sie sollten sich schämen.« Aber sie war es, die sich schämte. Und dann packte sie plötzlich die Wut, und sie griff nach der Schnur, die von der Nachttischlampe baumelte.
Er fluchte, als das Licht anging, und brüllte los. Eine Sekunde später war er bei ihr.
Er versuchte, hinter sie zu fassen, doch sie grub ihm die Finger in die Oberarme. Aber dann wich alle Kraft aus ihr, als sie sein Gesicht sah. Sie brauchte ein, zwei Sekunden, bis sie es eingeordnet hatte. Sie war völlig verwirrt, in ihrem Kopf jagten die Gedanken einander schneller und schneller. Doch bevor sie noch ein »Was?« oder »Warum?« über die Lippen brachte, fiel ihr Kopf nach hinten, und der weiche Schatten lastete auf ihr.
Sie schrie seinen Namen zweimal ins Kopfkissen, aber es war nur ein dummes Geräusch.
Die Schmerzen in seinem Bein weckten ihn auf, als er an den Rand der Matratze rutschte, um Platz für seinen Vater zu machen.
»Beweg deinen fetten Arsch, Mensch«, sagte Jim Thorne.
Thorne schaltete das Licht morgens um 4 Uhr 17 ein. Er griff nach dem Glas Wasser und ein paar Schmerztabletten in der Sichtpackung.
»Bist du ein beschissener Junkie?«
Auf dem Nachtkästchen lagen zwei Taschenbücher, die er beide mehrmals zu lesen angefangen hatte. Thorne fehlte die nötige Konzentration für einen weiteren Versuch. In seiner Tasche steckte ein Standard, und auf dem Tisch neben der Wohnungstür lag die ungeöffnete Post der letzten zwei Tage. Aber er wollte nicht durchs Wohnzimmer gehen und Hendricks aufwecken. Also blieb er liegen und versuchte, es sich einigermaßen bequem zu machen.
Sein Vater hatte sich zu einem wahren Helfer in allen Lebenslagen entwickelt, seit er tot war. Ab und zu ein weiser Spruch, eine blitzartige Erkenntnis und zumindest einmal die entscheidende Information, um einen Mörder zu fassen.
Aber er war nicht unbedingt eine Quelle, die man verlässlich nennen konnte.
Jetzt begnügte sich der alte Herr, warum auch immer, damit, zur Decke hoch zu starren und Thorne daran zu erinnern, wie »kotzhässlich« seine Lampe war.
Samstag
Luke
Er war noch nie betrunken gewesen. Bei den wenigen Malen, die er mit den anderen Jungen durch die Pubs gezogen war, hatte er stets nach ein paar Gläsern aufgehört. Vor dem Glas, das zuviel gewesen wäre. So sehr es ihn auch gereizt hatte, und so sehr er auch dachte, er sollte es machen, hatte er doch jedes Mal nein gesagt, wenn die erfahreneren Jungen nach der Schule auf einen Joint in den Park verschwanden. Er wusste, dass Juliet es schon ausprobiert hatte. Sie hatte ihm erzählt, dass einem beim ersten Mal übel wurde, dass es danach aber geil sei. Man sich entspannte und ganz sanft fühle. Das klang gut, aber er hatte nie genug Mut aufgebracht, es zu probieren. Es zu riskieren. Er wusste, was sein Dad von Drogen hielt.
Er hatte immer Angst davor gehabt, die Kontrolle zu verlieren.
Doch jetzt, wo er im Dunkeln an der Wand kauerte, dachte er sich, dass es sich wohl genauso anfühlte. Absolut keinen klaren Gedanken mehr fassen zu können. Er stellte sich vor, dass man, wenn man mit Alk oder Stoff zugeknallt war, das Gefühl hatte, woanders zu sein, und dass alles verschwommen und nicht zu fassen war.
Der Mann war bei ihm hier unten gewesen, hatte ihm zu essen gebracht und einiges erzählt. Er wusste nicht, ob der Mann ständig im Haus war oder kam und ging. Er hatte keine Haustür gehört, andererseits wusste er natürlich auch nicht, wie weit diese entfernt war.
Luke hatte nicht die geringste Ahnung, ob es mitten in der Nacht oder früh am Morgen war. Durch eine Diele am anderen Ende drang ein schmaler Lichtstreifen, woher aber sollte er wissen, ob es sich dabei um Tageslicht handelte oder um das Licht aus einem Zimmer darüber. Was immer es auch war, er konnte nicht mehr erkennen. Allmählich gewöhnte er sich jedoch an die Dunkelheit und fing an, sich mit dem Raum vertraut zu machen, so wie er es in der Wohnung von Conrad und Amanda
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