Tom Thorne 06 - Die Geliebte des Mörders
high gewesen sein, als er sie angriff?«
»Darüber möchte ich keine Vermutungen anstellen. Erscheint mir zwecklos. Aber aufgepasst, wenn Grant kurz davor war, clean zu sein – genau so was reicht, und die Scheiße geht von vorn los.«
Holland fiel ein, wann Warren mit den Drogen angefangen hatte. Konnten Schuldgefühle wegen Sarah Hanleys Tod bei ihm der Auslöser gewesen sein? »Finden Sie?«, fragte er.
Warren reagierte nicht groß auf die Frage, aber genug, damit Holland wusste, er hatte ins Schwarze getroffen. Warren drehte sich zur Spüle und begann, die benutzten Tassen abzuwaschen. »Sie haben mich gefragt, ob ich Freestone für fähig halte, jemanden zu entführen. Ich versuche Ihnen darauf zu antworten, so gut ich es kann. Wenn man kaputt genug ist, tut man alles, was einen weiterbringen könnte.«
Holland nickte. Er wollte, dass er weitersprach. Er hätte gerne gewusst, ob unter »alles« auch Mord fiel.
»Es gibt einen Punkt, an dem man nicht mehr darüber nachdenkt, was man macht. Man hält sich für schlau und baut in Wirklichkeit den größten Mist. Man hat nur eins im Kopf: Wie komm ich an das nötige Geld, um mir zu kaufen, was ich brauche?«
Sie hatten Warren nicht mehr gesagt, als er unbedingt wissen musste. Als Holland ihm von der Entführung erzählte, hatte der Therapeut die logische Schlussfolgerung über das Motiv gezogen. Er wusste nicht, dass ungeachtet seiner Mutmaßungen darüber, wozu ein verzweifelter Junkie in der Lage sei, der Entführer von Luke Mullen bislang noch keine Lösegeldforderung gestellt hatte. Warum war ein ebensolches Rätsel wie wer, aber so wie es aussah, hatte Geld nichts damit zu tun.
Dennoch war der Drogenblickwinkel in mindestens einer Hinsicht interessant. »Sagt Ihnen der Name Conrad Allen etwas, Neil?«
Warren drehte sich um. Schüttelte den Kopf.
»Und Amanda Tickell?«
»Wer?« Warren langte nach einem Geschirrtuch und sprach weiter, bevor Holland dazu kam, den Namen zu wiederholen. »Es tut mir leid, aber das bringt leider nichts. Ich denke nicht, dass Sie wissen wollen, ob ich die beiden vom Bridge kenne, und ich kann mit Ihnen nicht darüber sprechen, wen ich beruflich kenne oder nicht.«
»Alles klar.« Das Erste, was seit langem von Heeney zu hören war.
»Apropos Beruf, ich muss mal ins Wohnzimmer schauen. Nachsehen, dass nichts anbrennt.« Er trat einen Schritt weg von der Spüle. Dadurch schien das Licht von draußen Holland direkt ins Gesicht. Die Katze saß wieder auf dem Fensterbrett.
Geblendet kniff Holland die Augen zusammen. »Ist Freestone dafür clever genug? Ich meine, auch wenn ich berücksichtige, was Sie gesagt haben, die Verzweiflung und das alles. Aber ist er tatsächlich intelligent genug, um so etwas durchzuziehen?«
Warren dachte darüber nach. »Okay, es gibt intelligent genug, um in den Mensaclub aufgenommen zu werden, und es gibt intelligent genug, um nicht erwischt zu werden. Das sind zwei Paar Stiefel.«
»Er könnte natürlich auch beides sein.«
»Im konventionellen Sinn ist er nicht überdurchschnittlich intelligent. Aber er hat ein paar nützliche Tricks drauf. Er ist weniger intelligent als gewitzt.«
»Mit allen Wassern gewaschen, sozusagen.«
»Mehr als das«, sagte Warren. »Er weiß, wie er durchkommt. Aber um das zu tun, was er getan hat, muss man in der Lage sein, die Leute zumindest eine Weile hinters Licht zu führen. Was ihn letztlich ins Gefängnis gebracht hat, ist das, was er ist … Damit kommt man nicht lange durch, außer man schafft es, dem Rest der Welt vorzumachen, man wär jemand, der man nicht ist. Man lernt, sich zu verstellen, und man wird darin so gut, dass es zur zweiten Natur wird. Kommt dazu noch eine Sucht, die man vor seiner Umgebung verheimlichen muss, dann wird man zu einem Menschen, der die meiste Zeit seines Lebens vorgibt, jemand anders zu sein.« Er kaute an einem Fingernagel, riss ihn ab und zermalmte ihn zwischen den Zähnen. »Ja … ich halte ihn für clever genug.«
Holland war nicht überzeugter als jeder andere, dass Grant Freestone ihr Mann war, aber er hatte eine Aufgabe zu erledigen. Und was Neil Warren betraf, hatte er das seiner Meinung nach getan. Er sah auf die Wand und las, dass heute Abend ein Eric mit Kochen dran war und ein Andrew mit Badputzen. Sein Blick fiel auf das Gedicht unter dem Kalender. Es war noch immer rührselig – und Hollands Glaube an Gott beschränkte sich auf Hochzeiten, Beerdigungen und Glücksspiel –, aber dennoch hoffte er, dass
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