Tom Thorne 07 - Das Blut der Opfer
nahm ihn unter meine Fittiche.«
»Das glaub ich sofort.«
»Zeigte ihm, wo’s langgeht, als er hierherkam.«
Das hatte Thorne bereits überprüft. Brooks hatte, wie die meisten Häftlinge, mehrere Gefängnisse kennengelernt. Er hatte in Wandsworth und Birmingham gesessen, bevor er Ende letzten Jahres nach Long Lartin gekommen war. »War das alles, was Sie ihm zeigten?«
»Wär sinnlos gewesen. Ich konnte sehen, dass Marcus sich für so was nicht interessierte.«
»Was es wahrscheinlich noch aufregender machte, richtig?«
»Wie kommen Sie nur auf so was?«, fragte Nicklin.
Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung, vor fünf Jahren, war Nicklin bereits mehrere Jahre verheiratet gewesen, aber er hatte ein paar Leben unter falschem Namen hinter sich. In einem dieser Leben hatte er als Strichjunge im West End gearbeitet. Thorne hatte keine Ahnung, ob Nicklin eine wie auch immer geartete konventionelle Sexualität hatte. Nur dass er jeden auf jede notwendige Art ficken würde, um Macht über ihn zu bekommen.
»Wir standen uns nahe«, sagte Nicklin. »Als Freunde.«
»Wie herzergreifend.«
»Ich hab ihm den einen oder anderen guten Rat gegeben, als er hierherkam. Und er ist mir gelegentlich zur Seite gesprungen. Es gibt immer jemanden, der sich den schrägsten Vogel im Bau vornehmen will, verstehen Sie? Marcus hat mir da ein-, zweimal ausgeholfen.«
»Ich dachte, Sie könnten sehr gut auf sich selbst aufpassen«, meinte Thorne. »Ich hab von dem armen Schwein in Belmarsh gehört.« Thorne hatte den ausführlichen Bericht bekommen, als Nicklin vor zwei Jahren einen Mithäftling gehirntot zurückließ, als er ihm ruhig, aber kraftvoll einen angespitzten Löffel ins Ohr rammte.
Nicklin strahlte. »Ihr Interesse rührt mich.«
»Na ja«, warf Thorne ein, »weniger Interesse denn tiefe Sorge. Wir alle machen uns Sorgen. Ich und die Familien der Männer und Frauen, die Sie auf dem Gewissen haben. Charlie Garners Großeltern. Wir vergewissern uns lieber doppelt und dreifach, ob Sie noch da sind, wo wir Sie vermuten. Und nicht erfinderischen Gebrauch von Betttüchern oder eingeschmuggelten Schmerzmitteln machten.«
Nicklin verzog keine Miene. »Nein wirklich, ich bin gerührt. Und es ist gut, verstehen Sie, dass wir beide uns nicht aus den Augen verloren haben.«
Thorne spürte, wie ihm die Hitze in den Kopf stieg. »Was?«
Nicklin winkte ab, als hätte er im Moment keinen Sinn für solch banales Gerangel. »Sie haben sich nicht sehr verändert, finde ich.« Er deutete auf die Narbe auf Thornes Kinn. »Die ist neu. Und Sie sind grauer geworden. Sie sehen aber gut aus.«
Was Thorne nicht behaupten konnte. Er wusste nicht, ob Nicklin sich aus modischen Gründen den Schädel kahl rasierte, aber die Dellen auf dem Kopf betonten noch mehr, wie sehr Nicklin zugenommen hatte - eine Gewichtszunahme, die man nicht allein auf die Gefängniskost schieben konnte. Seine Zähne sahen wieder besser aus, doch ansonsten wirkte er aufgedunsen. An einem Nasenflügel hatte er ein paar Hirsekörner, und die Haut um die Lippen war trocken. Aber die Augen hatten nichts von ihrer alten Wärme verloren - und ihrer Verführungskraft.
»Was haben Sie damit gemeint«, fragte Thorne, »als Sie sagten, Brooks erweise Ihnen einen Gefallen?«
Der Besuchsbereich war nicht recht viel mehr als ein großer Gang, an dessen Seiten sich Gesprächskabinen befanden, jede mit einer dicken Plexiglasscheibe abgetrennt, so dass die Gefangenen für die Wärter zu sehen, aber nicht zu hören waren. Und überall Kameras. Auf beiden Seiten des Ganges trafen sich Gefangene mit Anwälten. Durch die dünnen Trennwände drang gedämpftes Gemurmel und nicht selten lautes Gebrüll. Ein paar Sekunden lang, bevor er sprach, sah Nicklin sich um, als wäre er noch nie hier gewesen, als überraschten ihn die schmutzigen Fingerabdrücke an der Scheibe, die Schäbigkeit der blassgelben Wände und der Möbel aus Holzfaserplatten. »Wissen Sie über seine Freundin und das Kind Bescheid?«, fragte er. »Den Grund für das alles?«
Thorne nickte.
»Dann können Sie sich vorstellen, wie heiß er war. Vierzehn Tage vor seiner Entlassung. Er durchlief diesen ganzen Kram an Gefühlen, den man angeblich durchläuft, wenn man jemanden verliert: Schuldgefühle, Verleugnung, Zorn, Akzeptanz oder weiß der Geier. Nur dass er diese Gefühle sehr schnell durchlaufen und nie den netten, gemütlichen Part am Ende erreicht hat. Marcus brannte vor Zorn, und das hat ihm verdammt gutgetan. Es half
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