Tom Thorne 08 - Die Schuld des Blutes
Gefühl, alle wissen, was passiert ist, dass ich für sie eine Art Freak bin. In der Schule hab ich mich oft geprügelt. Bis ihnen das Mitgefühl ausging und sie mich rauswarfen.« Er kniff die Augen zusammen, dachte an die Zigarette, die noch immer unangezündet zwischen seinen Fingern hing. »Selbst nachdem ich geheiratet hatte, Kinder hatte, blieb es … schwierig, also suchte ich etwas, das mir half, weißt du?« Er deutete mit einem Kopfnicken auf die leeren Dosen. »Das Problem ist nur, damit macht man sich allmählich das Leben kaputt und ersetzt einen Kummer durch den anderen.« Er kramte nach dem Feuerzeug. »Gott, wie ich zittere.«
»Ist okay.«
»Tut mir leid …«
»Siehst du deine Frau und deine Kinder manchmal?« Fowler schüttelte den Kopf und deutete durch die Rauchwolke auf Dowd. »Lass dir eins sagen, pass bloß auf, dass du nicht deine verlierst, Kumpel.«
»Ich hab sie schon verloren«, sagte Dowd. »In jeder Hinsicht, die zählt.«
»Sei nicht blöd, Mann.«
»Ich meine es ernst. Ich nehm mir mal ein Beispiel an dir und versuch, es positiv zu sehen. Und neu anzufangen, wenn das hier vorbei ist.« Er sprang auf und klatschte in die Hände. »Genau, ich mach noch mal Kaffee, und für dich koche ich gleich einen mit.«
Fowler lachte und bedankte sich. Er sah Dowd nach, der in der kleinen Küche verschwand. »Ich find diesen Bullen echt okay, weißt du, Andy. Thorne.«
Nach einer Sekunde oder zwei rief Dowd: »Vielleicht muss er besser als okay sein.«
Sobald das Video zu Ende war, wollte Jason es von vorn sehen, wie immer. Er zupfte Debbie am Arm, bis sie ihm die Fernbedienung gab, grinste über das Geräusch, das die Kassette beim Zurückspulen machte, und machte es sich wieder vor dem Fernseher bequem.
Debbie ertrug es nicht, sich das Ganze noch mal anzusehen. Sie kannte jedes Wort auswendig, jede Stelle, an der Jason sich umdrehte, die Backen aufblies und in jedes einzelne Tsch-tsch jedes einzelnen Zugs einstimmte. Sie stand auf, ging in den Flur hinaus und dachte, dass sie nicht das geringste Problem hätte, Ringo Starr zu erwürgen, und dass Thomas, die scheißkleine Scheißlokomotive hoffentlich bald entgleiste.
Nina kam in dem Moment aus dem Schlafzimmer, als nebenan die Titelmusik zu hören war. »Unfassbar, dass dieses Scheißvideo noch immer nicht kaputt ist.«
»Dafür bin ich kaputt«, sagte Debbie. »Das kann ich dir sagen.«
»Aber er liebt es.«
»Ja, ich weiß - die am besten investierten fünfzig Pence meines Lebens. Der Flohmarkt oben in Barnet, weißt du noch?« Sie sah, wie Nina ihr Make-up im Spiegel überprüfte. »Gehst du aus?«
»Muss arbeiten, Schatz.«
»Musst du nicht. Ich hab überlegt, ich könnte ja was zur Miete beisteuern.«
»Sei nicht albern.«
»Nein, wirklich.«
»Und von was?«
Debbie schloss die Wohnzimmertür. Jason konnte zwar nicht verstehen, was sie redeten, aber er reagierte sensibel auf Stimmlagen und regte sich schnell auf. »Ich treib es schon auf.«
»Nicht so einfach wie ich«, sagte Nina. »Ich hab bereits drei Verabredungen heute, und einer zahlt mir immer ein bisschen mehr.« Sie sah im Spiegel zu Debbie. »Kommst du allein zurecht? Du hast doch keine Angst?«
»Nein.«
»Diese Bullen sitzen noch immer draußen, und wenn du Schiss bekommst, kannst du Thorne anrufen.«
»Mir geht’s gut.«
Nina nickte. »Ich brauch das Geld, Debs, weißt du!«
Als Nina weg war, blieb Debbie noch kurz in der Diele und bemühte sich, den Ton von Jasons Video auszublenden. Sobald es zu Ende war, würde sie ihn zu Bett bringen, und wenn er genug gebrüllt und gespielt hatte, würde sie auch schlafen, sich ausnahmsweise mal früher hinlegen. Das war besser, als aufzubleiben und sich zu sorgen und zu warten, bis Nina heimkommt.
Sie konnte ihrer Freundin einfach nicht sagen, wie sehr
sie sich fürchtete. Bereits vor vielen Jahren hatte sie beschlossen, dass sie es nur dann schaffen würde, wenn sie niemandem zeigte, wie sehr sie sich fürchtete. Keinem Mann, keinem dieser verkniffenen Sozialarbeiter und ganz bestimmt nicht Jason. Seit dem Moment, in dem die Polizisten mit ernstem Gesicht an ihre Türe geklopft und sie gewarnt hatten, dachte sie daran, wie es wäre, von ihm getrennt zu sein. Nicht nur für ein paar Wochen, sondern für immer. Sie betrachtete ihn, wenn er schlief, oder starrte auf seinen Hinterkopf, wenn er vor dem Fernseher hockte. Und ihr wurde ganz schlecht dabei.
Sie stand auf und drückte das Ohr an die
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