Tom Thorne 08 - Die Schuld des Blutes
Stöhnen kam aus tiefstem Herzen.
»Wieder ein Puzzleteil?«, fragte Thorne.
Das Blut war noch nicht in Brigstockes Gesicht zurückgekehrt. »Zwei davon«, antwortete er.
Achtes Kapitel
Die Leichen von Gregory und Alexandra Macken, zwanzig und achtzehn Jahre alt, waren kurz nach halb zehn Uhr morgens von ihrem Vermieter in der Wohnung in Holloway gefunden worden - einem Iraner namens Dariush -, der gekommen war, um den Heizstrahler zu reparieren. Die ältere Dame, die einen Stock unter ihnen wohnte, hatte sie inoffiziell identifiziert. Sie gab an, die beiden am Samstagabend gehört zu haben, als sie nach Hause kamen, sie aber seitdem nicht mehr gesehen zu haben.
»Sie kamen nicht zur selben Zeit nach Hause, und beim ersten Mal waren mit Sicherheit zwei männliche Stimmen zu hören.« Darauf beharrte sie, obwohl sie gleichzeitig klarmachte, dass sie ihre Nase nicht in die Angelegenheiten anderer Leute steckte. Später, als die Tränen kamen, sagte sie: »Netter als Studenten sonst.« Sie bestand darauf, dass das auch notiert wurde. »Sie machten keinen Radau und grüßten immer freundlich. Sie fütterten sogar meine Katze, wenn ich zu meiner Schwester fuhr.«
Beide Opfer wurden in dem größeren der beiden Schlafzimmer gefunden. Gregory lag nackt auf dem Bett, seine Schwester, die einen Pyjama und einen Morgenrock trug, auf dem Boden. Beide hatten schwarze Plastikschnipsel in der Hand und Kopfwunden, die durch die Plastiktüten klar erkennbar waren.
Innerhalb einer Stunde hatte sich das CSI-Team an die
Arbeit gemacht. Eine Polizistin bemühte sich, Mr Dariush vor seiner Vernehmung so weit wie möglich zu trösten, während bereits ein speziell ausgebildeter Kollege unterwegs war, mit den Angehörigen zu sprechen und sie darüber zu informieren, dass sie die Toten am nächsten Tag offiziell identifizieren mussten.
Falls sie sich dazu in der Lage fühlten …
»Ich hab nie verstanden, warum die Leute das freiwillig machen«, sagte Thorne. »Ich meine, jeder von uns muss das mal machen, aber warum meldet man sich für einen Job, bei dem es nur darum geht, sich mit dem Elend anderer Menschen zu befassen? Bei dem man es … in sich aufnimmt?«
»Weil man empathisch ist.«
»Weil man was ist?«
»Sich einen Dreck schert.«
»Aber die ganze Zeit?« Thorne schüttelte den Kopf und trank einen Schluck Kaffee. »Da steh ich lieber einem Typen mit einer Knarre gegenüber.«
»Vielleicht solltest du umsatteln«, meinte Hendricks. »Die Toten sind in dieser Hinsicht absolut problemlos.«
Es war kurz vor sechs Uhr abends. Nach über sieben Stunden am Tatort verließen Thorne und Hendricks die Wohnung und gingen zu einem Café in der Hornsey Road, um die Zeit, bis die Leichen abgeholt wurden, totzuschlagen.
»Wie viel früher wurde der Bruder umgebracht?«
Sie hatten sich an einen Ecktisch gesetzt. Dazu brauchte es keine Worte, sie setzten sich ganz automatisch möglichst weit abseits anderer Gäste, wenn sie über ihre Arbeit sprechen wollten.
»Vielleicht zehn, zwölf Stunden«, sagte Hendricks. »Die Schwester ist wohl einen Tag tot, dann müsste er vor etwa sechsunddreißig Stunden umgebracht worden sein.«
»Also Samstagnacht bis Sonntagmorgen?«
Hendricks nickte und trank einen Schluck Tee. »Ist ein guter Film. Da sah Albert Finney noch umwerfend aus.«
»Glaubst du, er ist schwul?«, fragte Thorne.
»Albert Finney?«
Thorne reagierte nicht auf die Bemerkung und wartete. Er dachte darüber nach, was die Nachbarin aus der Wohnung darunter gesagt hatte, und arbeitete an dem zeitlichen Ablauf. Alexandra Macken war nicht umgebracht worden, weil sie den Mord an ihrem Bruder gestört hatte.
Der Mörder hatte auf sie gewartet.
»Schau, ich kann dir morgen sagen, ob da was Sexuelles lief«, sagte Hendricks. »Wer was mit wem gemacht hat und wie lange. Macken war mit Sicherheit schwul, wenn dir das weiterhilft.«
»Kann man auch tote Schwule über Gaydar suchen?«
»Er hatte Armistead Maupin und Edmund White im Buchregal stehen, und im CD-Spieler steckte eine CD von Rufus Wainwright.«
Von Rufus Wainwright hatte Thorne schon gehört. »Ich verlass mich auf dich.«
»Gut möglich, dass der Mörder auch schwul ist«, sagte Hendricks. »Aber wenn du mich fragst, dann ist er das, was er sein muss, und tut, was er tun muss, sobald er durch die Haustür kommt.«
»Und was immer er tun muss, wenn er dann im Haus ist, er … passt sich an.« Das war gleichermaßen an Hendricks wie an ihn selbst gerichtet.
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher