Tom Thorne 08 - Die Schuld des Blutes
»Ich bin nur neugierig, das ist alles. Es wäre schön, zu wissen, was Sache ist.«
»Da sind Sie nicht der Einzige«, meinte Thorne.
Dreizehntes Kapitel
Die Kantine im Addenbrooke stand der im Becke House in nichts nach. Das Essen war vielleicht etwas besser, und auch die Gespräche hatten ein höheres Niveau, aber selbst hier im obersten Stock, in dem die Verwaltung saß, entkam man dem Krankenhausgeruch nicht.
Desinfektionsmittel oder was auch immer.
Sie trugen ihre Tabletts zu einem Tisch in der Ecke, stellten die Teller, das Besteck, eine Flasche stilles Wasser und eine Dose Diet Coke ab. Sie hatten sich beide für Lasagne entschieden, der Doktor hatte dazu allerdings noch einen grünen Salat genommen, woraufhin sein Gast beinahe seine Fritten zurückgegeben hätte, aber nur beinahe.
»Was isst Ihr Kollege?«, fragte Kambar.
»Keine Ahnung«, sagte Thorne. Sie hatten in Whitemoor angerufen, um einen Termin beim Direktor zu bekommen, und sobald sie diesen hatten, hatte Holland ein Taxi zurück zum Bahnhof von Cambridge genommen. Von dort fuhr man eine halbe Stunde mit dem Zug zum Gefängnis.
»Gut möglich, dass er rechtzeitig dort ist, um mit dem Direktor zu essen.«
»Vielleicht, ja«, sagte Thorne. Er vermutete, dass Holland ein anderes Arrangement vorzog. Was Gerüche anging, die sich schwer abschütteln lassen, bestand nicht viel Unterschied zwischen einem Krankenhaus und einem Gefängnis. »Wahrscheinlich isst er einfach nur ein Sandwich im Zug.«
Thorne und Kambar begannen zu essen.
»Ist so was möglich?«, fragte Thorne. »So eine Persönlichkeitsveränderung?«
»Oh, eine Persönlichkeitsveränderung ist zweifelsohne möglich. Ich hatte es mit einer ganzen Reihe davon zu tun. Aber ob das so weit gehen kann, dass man jemanden ermordet?«
»Dass man sieben Menschen ermordet.«
»Das hat ja schon Jekyll-und-Hyde-Dimensionen.«
»Das heißt?«
»Ich … hatte meine Zweifel.«
»Sie sagen also nicht, es wäre undenkbar?«
»Was das Gehirn anbetrifft, ist nichts in Stein gemeißelt«, erklärte Kambar. »Es ist praktisch unmöglich, irgendetwas komplett auszuschließen, aber ich war keinesfalls bereit, das so vor Gericht zu sagen.«
Thorne fing an, die Fritten mit den Fingern zu essen. »Ich glaube, ich verstehe.«
»Gut. Die Lasagne ist heute besser als sonst. Normalerweise ist sie wie ein Ziegelstein.«
Thorne kannte eine Menge Ärzte und Wissenschaftler, die nur zu gern in den Zeugenstand getreten wären, um Ruhm oder Geld einzustreichen. Die nur zu gerne ausgesagt hätten, dass so etwas zwar unwahrscheinlich war, aber nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden konnte. Solche Leute - von denen viele ihr Expertentum im Zeugenstand praktisch zum Beruf machten - waren ein Geschenk für Verteidiger, die Typen wie Raymond Garvey raushauen wollten. Solche Zeugenaussagen waren wie geschaffen, um selbst beim skeptischsten Geschworenen den Keim des Zweifels zu säen.
Die Verwandten von Garveys Opfern hatten allen Grund, Pavesh Kambar dankbar zu sein.
»Bei diesen Fällen, mit denen Sie es zu tun hatten«, wollte Thorne wissen, »wie verlaufen da diese Veränderungen?«
Kambar hob zur Demonstration die Hand, und es sah aus, als wolle er sich die Gabel in die Stirn rammen, doch dann legte er die Gabel weg. »Der Frontallappen steuert die kognitiven Prozesse«, erklärte er. »Hier sitzen die natürlichen Hemmfunktionen, hier finden die Klassifizierungsleistungen statt. Hier entscheidet sich, wer wir sind.«
»Und ein Tumor kann das ändern.«
»Jeder Fremdkörper und jede Verletzung in diesem Bereich beeinflusst das. Eine Gehirnverletzung kann Auswirkungen auf die Persönlichkeit haben, sie beeinflussen.«
»Ich hab mal was in der Zeitung gelesen«, sagte Thorne. »Von einer Frau, die bei einem Verkehrsunfall eine Gehirnverletzung erlitt, und als sie aufwachte, redete sie in einer anderen Sprache.«
Kambar nickte. »Mir sind solche Berichte bekannt. Aber ich habe meine Zweifel. Wenn Sie mich fragen, sind das einfach gute Geschichten.«
»Welche Veränderungen haben Sie selbst gesehen?«
»Schüchterne Menschen, die plötzlich sehr temperamentvoll waren. In der Regel haben diese Veränderungen etwas mit Hemmung zu tun, mit Schranken, die wegfallen. Alkohol funktioniert genauso - er wirkt auf den Frontallappen. Stellen Sie sich einen Betrunkenen vor, aber ohne das Lallen und Stolpern. Feinheiten, Nettigkeiten, so was gibt es nicht mehr, verstehen Sie? Mit Umgangsformen ist es dann auch
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