Tom Thorne 09 - Das Geständnis des Toten
fünfzig Jahre alt wurde. Und als er dann anscheinend ein zweites Mal sein Glück fand, überwog in dem Gefühlswirrwarr seiner beiden Töchter letztlich die Freude. Die Ehe hatte achtzehn Monate gehalten.
Niemand wusste genau, warum Ehefrau Nummer zwei ihre Koffer so schnell packte, und ihr Vater wollte nicht darüber sprechen. Helen und Jenny waren der Meinung, dass es wahrscheinlich nicht gerade einfach war, mit ihm zu leben, und beließen es dabei. Andererseits waren sie überrascht, wie schnell er sich erholte. Er war mit zweiundsechzig Jahren in Frühpension gegangen und leistete sich nun einiges, indem er sein Sparschwein zur Ader ließ. Er trat in Clubs ein, legte sich mit jungenhafter Begeisterung Hobbys zu, und jetzt, Höhepunkt der Verjüngung, sah es so aus, als sei da wieder eine Frau aufgetaucht. Helen und Jenny kicherten noch Monate wie Schulmädchen, nachdem ihnen der alte Herr von der »netten Dame von gegenüber« erzählt hatte, die »mich manchmal auf ihrem Stellplatz parken lässt«.
Die kleine Straße war sauber und ordentlich, in den Vorgärten stand eine kleine Armee von Terrakottatöpfen, und die Parkplätze wurden so eifrig bewacht wie kleine Kinder. An den meisten Fenstern klebten die Sticker der Neighbourhood Watch, einer Organisation, bei der Helens Vater aktives Mitglied war und die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, sich in der Nachbarschaft gegenseitig zu bewachen. Jenny sagte, so habe er seine neue Partnerin kennengelernt. Wahrscheinlich hatte er mit einem Muffin um sie geworben.
»Nimm dir ein paar mit«, meinte ihr Vater. »Direkt aus dem Gefrierfach, dreißig Sekunden in die Mikrowelle. Gib Paul einen zum Frühstück.«
Helen brummte zustimmend. War eigentlich eine nette Idee.
»Jenny hat letztes Mal, als sie hier war, auch welche mitgenommen. Gibt sie den Kleinen in die Pause mit.«
Klar doch, dachte Helen.
»Sie war letzte Woche hier. Hat sie mit dir darüber gesprochen?«
»Hat sie sich wieder das Maul zerrissen?«
»Was meinst du damit, mein Schatz?«
»Ist sie über Paul hergezogen?«
»Warum sollte sie?«
»Vergiss es.«
Er schaute verwirrt in seinen Tee. »Sie weiß doch, wie gern ich den Jungen mag«, sagte er. »Vielleicht sieht sie es ja so wie ich und findet, Paul hätte dich längst heiraten sollen, aber ich bin nun mal ein alter Sack, der sich besser nicht einmischt.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich wüsste nicht, warum sie das tun sollte.«
»Würde sie auch nie«, sagte Helen. »Tut mir leid, ich bin einfach …«
Klar doch. Das Lotterleben ihrer großen Schwester und ihrer labilen besseren Hälfte war seit Monaten absolut tabu, und Jenny war zu klug, um sich nicht daran zu halten. Helen neigte zum Jähzorn und konnte ganz schön unangenehm werden. Das war schon so, bevor die Hormone sie im Griff hatten.
»Sie macht sich Sorgen«, fuhr ihr Vater fort. »Aber das ist nur verständlich.«
Fand Helen auch, wenn sie es rational betrachtete. Ihr war meistens durchaus klar, dass Jenny nur tat, was Schwestern eben tun – dass sie sich auf ihre Seite stellte, egal, was passiert war. Manchmal jedoch blitzte Jennys wahre Meinung durch: wenn sie zum Beispiel am Ende eines Telefongesprächs zweideutig seufzte oder verständnisvoll brummte, während sie ihren Kindern etwas zu essen machte.
Helen war eine dämliche Schlampe, die sich ins gemachte Nest hätte setzen können und stattdessen im entscheidenden Moment alles vermasselt hatte. Dagegen ließ sich schwer was einwenden, Helen sah es genauso.
Dieser Jähzorn und ein übler Hang zur Selbstzerstörung.
»Alles in Ordnung, Hel?«
Sie holte tief Luft. Sie spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach. »Kann ich ein Fenster aufmachen? Hier drinnen ist es brütend heiß.«
»Die meisten Fenster hier gehen nicht richtig auf«, sagte ihr Vater und erhob sich. »Ich mach eine Tür auf.«
Die Katze ihres Vaters, ein ständig haarender schwarzweißer Kater, stolzierte unter dem Fenster vorbei und zeigte Helen ihren Hintern.
»Hast du dich mit Paul gestritten?« Er legte die Hand auf ihre Rückenlehne, als er vorbeiging, und hob sie entschuldigend hoch, als sie ihn anblitzte. »Ich hab dir doch gesagt, Jenny hat nichts erzählt.« Er setzte sich und begann die Bücher und Zeitschriften auf dem Tisch neben ihm zu ordnen, auch wenn diese ohnehin bereits ordentlich gestapelt waren. »Du hast ihn einfach eine Weile nicht mehr erwähnt, das ist alles. Und ich hab schon lange nicht mehr mit ihm gesprochen.«
»Er
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