Tom Thorne 09 - Das Geständnis des Toten
Nachbarwohnung beschwert. Es sei nicht das erste Mal, dass dieses Früchtchen ihren Sonntag ruinierte mit seiner lauten Musik und dem Türenknallen. Das hatte noch weniger Aufmerksamkeit erregt. Beschwerden wegen Ruhestörung oder Vorfällen, die in Richtung häusliche Gewalt gingen, wurden, wenn sie aus der Sozialsiedlung Lee Marsh Estate kamen, wie Beschwerden über Abfall oder Hundehäufchen auf dem Bürgersteig behandelt.
Easy lag absolut richtig. Sie standen nicht auf die Siedlung.
Erst als ein helles Köpfchen die zwei Berichte verglich und merkte, dass sie einen Namen gemein hatten, kam Bewegung in die Sache. Eine Stunde später schlugen sie SnapZ’ Tür ein. Und bevor sie noch Gelegenheit hatten, ihre Stichschutzweste auszuziehen, waren die Beamten, die gerade wieder angefangen hatten, Akten zu wälzen oder Streife in Greenwich und Blackheath zu gehen, kreidebleich und wütend unterwegs nach Lewisham.
Theo stand in zweiter Reihe hinter fünfzehn oder zwanzig Schaulustigen, die sich so nah wie möglich zum Ort des Geschehens drängten. Die meisten von ihnen wussten wahrscheinlich gar nicht, dass SnapZ bereits abgeholt worden war, und warteten darauf, einen Blick auf das Drama zu erhaschen.
Es war eine seltsame Mischung: Ladenbesitzer; ein, zwei Familien aus der Siedlung und ein paar verwirrte Seelen, die wie Touristen aussahen und irgendwo falsch abgebogen sein mussten. Auch ein, zwei Typen aus der Gang hingen herum, um ihren Respekt zu bekunden oder weil es sie vielleicht tröstete, in der Nähe der anderen zu sein. Theo hatte Gospel und Sugar Boy gesehen und dieses Ritual des Nickens über sich ergehen lassen, bevor er den Blick wieder senkte.
In seiner Nähe stand ein kleiner Junge mit seinem Vater,
schleckte ein Eis und renkte sich fast den Hals aus, damit ihm auch ja nichts entging. Theos Magen flatterte. Er hatte zuvor in einem Café vorbeigeschaut, und jetzt fürchtete er, jeden Moment sein Schinkensandwich wieder herauszuwürgen.
Nach etwa zehn Minuten forderten zwei Polizisten in Uniform die Schaulustigen auf zurückzutreten, und die Ersten verschwanden. Theo wusste, die Leute bereiteten schon ihre Reden vor. Es waren bereits ein paar lokale Nachrichtenteams hier, und die Teams der größeren Sender kamen später. Das war wahrscheinlich ein Thema für die Abendnachrichten.
Als der Vater und der Sohn an ihm vorbeigingen, fing Theo den Blick des Kleinen auf. Ein klebriges Gesicht, ein Schulterzucken.
Nichts zu sehen.
Andere, die wieder an ihre Arbeit gingen, beurteilten das ganz anders.
Nichts, was sie nicht zuvor schon gesehen hatten.
Theo hoffte, dass sein Gesicht ihn nicht zu sehr verriet und keine Rückschlüsse darauf zuließ, was in seinem Kopf vorging, welche Gedanken ihm durch den Kopf rasten . Er hatte keine Ahnung, warum das hier passierte, und noch weniger, wer dahintersteckte. Aber eines war klar: Das hier hatte nichts zu tun mit Easy und seinen … Ausflügen. Hier ging es nicht um Gebietsstreitigkeiten.
Die Straßengang hatte dreißig, möglicherweise auch mehr Mitglieder, und weiter oben, in den Dreiecken darüber, gab es noch genug andere, wenn man wusste, wo man suchen musste.
Mikey war tot, und jetzt SnapZ. Das war kein Zufall.
Was die Medien anging, war die Erklärung einfach. Sie würden das als Folgen eines brutalen Bandenkriegs hinstellen oder als eines internen Streits. Und man würde sie als Opfer von etwas Übergeordnetem darstellen: Symptome von
Entfremdung und Entmachtung, als Produkt einer kaputten Unterschicht und einer verfehlten Integration.
Aber Theo wusste, die beiden hatten noch mehr gemein, etwas, das sie nur mit Theo und zwei anderen geteilt hatten. Die Nacht vor zehn Tagen, als dieser Polizeibeamte starb. Als er den Polizeibeamten umbrachte.
Mikey und SnapZ hatten beide auf dem Rücksitz gesessen.
Theo wandte sich um und stieß beinahe mit Gospel zusammen. Sie hatte den Kopf gesenkt und fuhr sich mit der Hand durch die Locken. »Alter, ist das kaputt«, sagte sie.
Theo spürte wieder Bewegung in seinem Magen.
Gospel machte kehrt, als sei sie in Eile. »So was von scheißkaputt.«
»Ja«, sagte Theo.
Helen musste zugeben, dass einige dieser kleinen Ganoven verdammt schlaue Bürschchen waren.
Bevor sie in Mutterschaftsurlaub ging, hatte sie von einer Serie von Autodiebstählen erfahren, bei denen Kids in mit Navi ausgestattete Autos einbrachen, auf die Heimatort-Taste drückten und sich zu dem Haus des Besitzers leiten ließen, das sie dann
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