Tom Thorne 09 - Das Geständnis des Toten
einen ein Kind von Grund auf veränderte. Sie hatte es bei Jenny erlebt. Man war weniger draufgängerisch und vermied Risiken. Paul hatte sie einmal während eines besonders unangenehmen Streits gefragt, ob sie wirklich glaube, sie könnte ihren Job noch machen, wenn sie zurückkehre. Vor allem einen Job wie den ihren.
Damals hatte sie darüber nur gelacht, aber inzwischen fand sie es nicht mehr zum Lachen.
Als sie wieder am Einkaufszentrum war, beschloss sie, noch schnell in den Supermarkt hineinzuschauen und ein paar Sachen für das Abendessen zu besorgen. An der Tür nach draußen stieß sie mit einem Buggy zusammen und ließ eine Tüte fallen. Die junge Mutter verschwand, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen, doch ein Teenager, der aus dem Zeitungsladen nebenan trat, kam herüber.
»Alles okay?«
Helen sah in ihrer Tasche nach. Verärgert stellte sie fest, dass zwei von den sechs Eiern in der Packung zerbrochen waren. »Mehr oder weniger«, sagte sie.
Der Junge nahm den Eierkarton und entsorgte die kaputten Eier in einem Abfalleimer. »Das war nicht in Ordnung«, sagte er, als er zurückkam.
»Nicht dass sie mich nicht hätte sehen können«, sagte Helen.
Er wartete, bis sie, in jeder Hand eine Tüte, wieder auf den Beinen war, nickte und ging. Sie wollte sich bei ihm bedanken, aber er zündete sich bereits eine Zigarette an und war in
Eile. Er wollte die Straße überqueren, bevor die Ampel umschaltete. Helen rief ihm nach, und er blieb auf der anderen Straßenseite stehen. Er deutete auf sich, um sicherzugehen, dass sie ihn meinte.
Als Helen ihn eingeholt hatte, war sie außer Atem. »Könnten Sie mir mit den Tüten bis zum Auto helfen, ginge das?«
Sie liefen schweigend die Straße hinunter, bogen um die Ecke des Einkaufszentrums und suchten sich ihren Weg durch die Menschenmenge vor dem Parkhaus.
»Wohnen Sie hier in der Gegend?«, fragte Helen.
»Da drüben.« Der Junge deutete auf die Sozialbauten.
»Heute war nicht gerade mein Tag, müssen Sie wissen …«
Ein anderer Junge kam ihnen entgegen, wurde langsamer und grinste breit, als er den Jungen mit den Einkaufstüten sah. »Du bist ja ein ganz übler Knochen, T«, sagte er. Mit einem Kopfnicken Richtung Helen fügte er hinzu: »Hältst dir heimlich, still und leise eine hübsche kleine MILF.« Er zwinkerte ihm zu und deutete auf Helens Bauch. »Ist das von dir, hm?«
Der Junge mit den Tüten schüttelte den Kopf und ging an ihm vorbei. Der andere lief lachend weiter. »Tut mir leid.«
Helen zuckte die Schultern. »Was ist denn eine MILF?«
»Das wollen Sie gar nicht wissen.«
»Wie gesagt, der Tag kann nicht viel schlimmer werden.«
»Mummy I’d like to fuck«, sagte der Junge. Er sah zu Helen, die einem Mann mit einem riesigen Hund auswich. »Tut mir leid.«
Helen hatte ihren Wagen auf dem ersten Deck des Parkhauses abgestellt, und der Junge wartete auf der Treppe auf sie. Er blieb immer wieder stehen, damit sie nachkam. »Es gibt übrigens einen Lift«, sagte er.
Helen lehnte sich kurz an die Wand. Auf der engen Treppe roch es nach Urin und Hamburgern. »Wenn ich die eine Treppe nicht schaffe, dann kann ich mich gleich hinlegen und
sterben«, sagte sie. Nachdem sie ihr Ticket bezahlt hatte, gingen sie zu ihrem Auto. »Nicht gerade nett hier, oder?«
Der Junge sah sich um.
»Ich meine nicht das Parkhaus«, sagte Helen. Er lächelte. »Die Gegend allgemein.«
»Ganz nett für Floristen«, sagte er. »Oder Wandmaler.«
»Und was machen Sie beruflich?«
»Hab keinen Beruf.« Er sah auf seine Turnschuhe hinunter. »Ich verdien mir hier und da was.«
»Haben Sie einen der Jungs gekannt, die umgebracht wurden?«
»Beide.«
»Das tut mir leid.«
»Sie waren nicht unbedingt Freunde von mir. Keine richtigen Freunde.«
»Trotzdem. Das muss schlimm sein.«
Er zuckte die Schultern.
»Glauben Sie, das geht so weiter?«
»Denk schon.«
»Hier steht mein Wagen«, sagte Helen. »Danke.« Sie sperrte das Auto auf, und der Junge hob die Tüten in den Kofferraum. Der Lärm der Autos, die um die engen Kurven quietschten, wurde von den Wänden zurückgeworfen. Sie öffnete die Tür. »Wenn Sie mich fragen, ist das wahrscheinlich eine gute Zeit, um Urlaub zu machen.«
Der Junge zündete sich eine neue Zigarette an und schüttelte den Kopf. Dabei kniff er die Augen zusammen, als ihm der Rauch ins Gesicht stieg. »Das ist nicht drin«, sagte er. »Das pack ich noch lange nicht.«
»Dann reicht es hoffentlich so weit, den Kopf immer
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