Tom Thorne 10 - Tödlicher Verdacht
achtete er stets darauf, keine Hoffnung bei ihnen zu schüren, indem er andeutete, dass der Verschollene womöglich gefunden worden sei, vor allem deshalb, weil sich diese Hoffnung schnell in Entsetzen verwandelt hätte, wenn er ihnen die Umstände erklärt hätte. Also äußerte er sich nur vage und wich, wenn nötig, aus, bis er zuversichtlich genug war, um die Person am anderen Ende der Leitung zu fragen, ob sie bereit wäre, eine DNA -Probe zur Verfügung zu stellen. »Es geht dabei allein darum, Ihren Sohn/Bruder/Vater aus unseren Ermittlungen ausschließen zu können …« In der Regel erfüllte das seinen Zweck. Die Probe konnte dann mit dem Gewebe verglichen werden, das bei der ursprünglichen Obduktion entnommen worden war und jetzt im Labor des Forensic Science Service in Lambeth aufbewahrt wurde.
Viele konnten jedoch bereits vorher ausgeschlossen werden. Der Obduktionsbericht beschrieb detailliert zwei Metallstifte, mit denen die Knochen des rechten Beins des Opfers zusammengehalten wurden, und obwohl von nichts viel übrig war, hatte Phil Hendricks keine Spur von einem Blinddarm im Körper des Opfers gefunden. In Anbetracht des Geständnisses von Donna Langford hatte es damals niemand für nötig befunden nachzuprüfen, ob ihr Mann eine schwere Beinverletzung erlitten hatte oder sich irgendwann einer Blinddarmoperation hatte unterziehen müssen.
»Sie sehen aus, als könnten Sie den gebrauchen.«
Holland blickte auf und lächelte erleichtert, als er eine attraktive Detective Constable in der Ausbildung sah, die eine Tasse Kaffee in der Hand hielt. Sie hatte ihm in den letzten Wochen eine Menge Aufmerksamkeit geschenkt, doch er war sich nicht ganz schlüssig, ob sie auf ihn stand oder sich nur bei ihm einschmeicheln wollte. Er war so oder so zufrieden und ganz sicher dankbar für den Kaffee.
»Ziemliche Plackerei, was?«
Holland hatte soeben mit einer Frau telefoniert, deren jüngerer Bruder, ein Soldat der britischen Armee, verschwunden war, nachdem er sich unerlaubt von seiner Einheit entfernt hatte.
»Können Sie mir nicht einfach sagen, dass er tot ist?« Die Frau hatte ausgelaugt geklungen. »Es wäre so viel leichter, wenn wir wüssten, dass er tot ist …«
»Ja, eine Plackerei«, sagte Holland.
Er hatte sich dabei ertappt, wie er verschiedene Szenarien entworfen hatte, um das oftmals rätselhafte, in den Akten vor ihm dargelegte Verschwinden zu erklären. Ein Achtundzwanzigjähriger, der während eines Junggesellenabschiedswochenendes in Newquay auf dem Rückweg vom Pub verschwunden war, hätte von Alan Langford oder einem seiner Handlanger ins Auto gezerrt worden sein können. Allerdings war es ebenso möglich, dass er im Suff vom Weg abgekommen und von einer Klippe ins Meer gestürzt war. Ein psychisch kranker Siebenunddreißigjähriger, der zuletzt an einer Bushaltestelle in Willesden gesehen worden war, hätte ebenfalls von Langford aufgegriffen worden sein können. Wahrscheinlicher war jedoch, dass er sich in der Dunkelheit verlaufen hatte und später unter banaleren Umständen ums Leben gekommen war als der Mann, nach dem Dave Holland fahndete.
Der Prozess war langwierig und mühsam: Die Verwandten mussten ausfindig gemacht werden, zur Abholung von Proben mussten Polizeibeamte losgeschickt werden, die DNA musste analysiert werden. Ohne Garantie, dass letztendlich etwas dabei herauskam. Unter Umständen hatte Langford bewusst jemanden ausgewählt, dessen Verschwinden überhaupt nicht bemerkt werden würde; jemanden, der bereits durch das soziale Netzwerk geschlüpft war und niemandem eine Vermisstenmeldung wert war. Holland war sich darüber im Klaren, dass das auf makabre Weise einen Sinn ergab und wesentlich weniger riskant war, als jemanden auszusuchen, dessen Angehörige sofort zur Polizei laufen würden, wenn er nicht zum Abendessen erschien.
In diesem Fall würden sie das Opfer womöglich nie identifizieren können.
Würden Alan Langford den Mord nie anhängen können.
Holland nahm den Kaffee entgegen, erkundigte sich, wo die Kekse seien, und sagte der errötenden jungen Detective Constable dann, dass er nur gescherzt habe. »Holen Sie sich einen Stuhl«, forderte er sie auf. »Ich zeige Ihnen das Prozedere.«
Als Thorne wieder im Büro eintraf, rief er Gary Brand an, den Detective Inspector, mit dem er sich ein paar Abende zuvor im Oak unterhalten hatte. Bevor Brand zehn Jahre zuvor ins Langford-Ermittlungsteam berufen worden war, hatte er in der damaligen Abteilung für
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