Tom Thorne 10 - Tödlicher Verdacht
einen Dreck darum scheren. Thorne fragte ihn, ob er schon einmal etwas vom Sick-Building-Syndrom gehört habe, der sogenannten »gebäudebezogenen Krankheit«, aber Boyle schüttelte nur den Kopf, führte ihn in die Einsatzzentrale und gestikulierte in Richtung der zehn bis fünfzehn Männer und Frauen, die an unordentlichen Schreibtischen arbeiteten.
» Kollegen bezogene Krankheit trifft es schon eher«, spottete er. »Sie sollten mal hören, was dieser Haufen so alles vom Stapel lässt.«
Als Thorne vorgestellt wurde, merkte er, dass Boyle trotz seines griesgrämigen Getues nicht nur stolz auf seine Mitarbeiter war, sondern die meisten von ihnen sogar ziemlich gern mochte. Sicher lieber, als Thorne einige seiner Kollegen mochte, mit denen er zusammenarbeiten musste.
Außerdem fiel ihm wie schon öfter in ähnlichen Situationen auf, dass Polizisten, die einem Team zugeteilt waren, immer in bestimmte, klar erkennbare Kategorien zu fallen schienen. Es gab die Anpacker und die Jammerer. Es gab Speichellecker, Eigenbrötler und Schlägertypen. Thorne erkannte eine Yvonne Kitson und ein paar Dave Hollands, und nach ein paar schlechten Witzen und schlüpfrigen Bemerkungen war er in der Lage, den Samir Karim des Teams zu identifizieren. Nachdem er mit fast allen gesprochen hatte, war er sich nicht sicher, welcher von denen, die er kennengelernt hatte, am ehesten ihm selbst entsprach. Er fragte sich, ob Andy Boyle womöglich derjenige war, doch noch während er überlegte, wanderte sein Blick zu einem mürrischen Detective Sergeant, der ein wenig abseits von den anderen saß. Er hatte nur einen Grunzlaut von sich gegeben, als Thorne vorgestellt worden war, und sich dann wieder seinem Computerbildschirm zugewandt. Irgendwie wirkte er verstört.
Thorne unterhielt sich mit den Polizisten, die für die Untersuchung von Howard Cooks und Jeremy Grovers Finanzen zuständig waren, und erfuhr mehr oder weniger dasselbe, was er bereits von Andy Boyle gehört hatte. Die Bezahlung war fast sicher in bar erfolgt. Bislang waren keine belastenden Unterlagen aufgetaucht.
»Die Burschen sind nicht blöd«, merkte einer von ihnen an.
Thorne erinnerte sich, was Pat Cook zu ihm gesagt hatte, bevor sie gegangen waren – ihr Appell, was ihren Mann anbelangte. Er war ihrer Frage ausgewichen, um ihr nicht die schmerzhafte Wahrheit sagen zu müssen. Tatsache war nämlich, dass sie ihn nicht in Ruhe lassen würden, solange sie nicht etwas – irgendetwas – Besseres in der Hand hatten.
»Suchen Sie weiter«, sagte er zu den Polizisten.
Er hielt eine kurze Ansprache, in der er zusammenfasste, wie die Ermittlungen auf der Londoner Seite voranschritten. Was die Suche nach Alan Langford betraf, folgten sie vielversprechenden Hinweisen, waren aber trotzdem auf jegliche Hilfe angewiesen, die sie bekommen konnten. »Wenn wir eine Verurteilung erreichen möchten«, sagte er, »wird sich die Arbeit, die Sie hier machen, letzten Endes vermutlich als entscheidend erweisen.«
»Ergreifende Rede«, sagte Boyle, als Thorne fertig war. »Eines Tages werden Sie es in die Chefetage schaffen.«
»Nur über meine Leiche«, erwiderte Thorne.
»Apropos …« Boyle machte eine Kopfbewegung in Richtung eines großen Mannes in einem teuren Anzug, der auf sie zukam, und murmelte: »Wenn man vom Teufel spricht …« Dann lächelte er und stellte Thorne Detective Chief Inspector Roger Smiley vor.
Der DCI scheiterte kläglich, seinem Namen gerecht zu werden, als er Thorne die Hand schüttelte und ihm sagte, wie erfreut er über die gute Zusammenarbeit ihrer beiden Polizeieinheiten sei. Thorne gab sich alle Mühe, so zu tun, als höre er ihm zu, und bildete sich sofort eine Meinung über ihn. Derselbe Rang wie Brigstocke, aber vermutlich kein Brigstocke. Viel zu formell und glücklicherweise keine Kartentricks.
»Wir hoffen, dass es uns genauso wie euch unten im Süden gelingt, immer einen Schritt voraus zu sein«, sagte Smiley. »Habe ich recht, Andy?«
»Stimmt haargenau«, erwiderte Boyle, vermittelte dabei allerdings den Eindruck, als habe er nicht die leiseste Ahnung, was unter diesem Schritt zu verstehen war.
»Deshalb sind wir besonders stolz darauf, dass dieses Ermittlungsverfahren ein so gutes Beispiel für die CRISP -Initiative in Aktion ist.«
»Für welche Initiative?«, fragte Thorne.
Endlich lächelte Smiley. »Das ›Cross-Regional Information Sharing Project‹, überregionaler Informationsaustausch.«
»Ja, ein Paradebeispiel.« Nein, kein
Weitere Kostenlose Bücher