Tom Thorne 10 - Tödlicher Verdacht
erwiderte Thorne.
Normalerweise hätte er nichts so Optimistisches gesagt. Man versuchte natürlich immer, den Angehörigen gegenüber positiv zu klingen, musste aber trotzdem auf der Hut sein. Generell war es ebenso wenig ratsam zu sagen: »Keine Sorge, sie ist auf jeden Fall noch am Leben«, wie sich mit einem Finger quer über den Hals zu fahren und unheilvoll zu flüstern: »Mausetot, mein Freund, daran besteht kein Zweifel.«
Ich bin zuversichtlich …
Und das war Thorne tatsächlich. Ihm war bereits aufgefallen, dass er nicht so viel über Ellie Langford nachdachte, wie er in Anbetracht der Umstände erwartet hatte – eine Achtzehnjährige, die verschwunden war, ihre Pflegeeltern in Trauer, ihre leibliche Mutter verzweifelt. Eigentlich dachte er noch immer viel häufiger an Andrea Keane, das Mädchen, das er insgeheim längst für tot erklärt hatte.
Doch er glaubte zu wissen, warum.
Er war zu der Überzeugung gekommen, dass Donna Langford recht hatte und dass ihre Tochter von ihrem Exmann entführt worden war. Das war die einzige logische Erklärung für ihr plötzliches Verschwinden, zu dem es binnen weniger Wochen nach dem Eintreffen des ersten Fotos gekommen war. Und wenn dem so gewesen war, hatte Langford bestimmt Donna verletzen wollen und nicht Ellie. Er war ein Mann, der alles Nötige tun würde, um zu überleben und erfolgreich zu sein, der die Hinrichtung anderer anordnen konnte und der imstande war, so glaubte Thorne, sich hinzustellen und mitanzusehen, wie jemand bei lebendigem Leib verbrannte. Thorne war jedoch nicht überzeugt, dass er seiner eigenen Tochter absichtlich Schaden zufügen würde.
Er konnte nur hoffen, dass es sich bei diesem untypischen Anflug von Optimismus nicht nur um Anna Carpenters Naivität handelte, die auf ihn abzufärben begann.
Vierundzwanzigstes Kapitel
Das Londoner Hauptquartier der SOCA befand sich auf der Südseite der Themse in der Nähe der Vauxhall Bridge, einen Steinwurf von der M16 entfernt, in einem cremefarbenen Stein- und Glasgebäude mit Blick über das Wasser auf Millbank. Im Jahr 2000 hatte die IRA Raketen auf den Komplex abgefeuert, und es hielten sich hartnäckig Gerüchte über ein geheimes Tunnelsystem, das angeblich unter der Themse hindurch zu Whitehall führte.
Becke House war bei Weitem nicht so interessant, vermutete Thorne, aber wahrscheinlich wesentlich sicherer.
Auf dem Weg von der U -Bahn-Haltestelle Vauxhall zu dem Gebäude rief er Gary Brand an.
»Erinnern Sie sich noch an Trevor Jesmond?«
»Verdammte Scheiße, erzählen Sie mir jetzt nicht, dass Sie diesen Wichser immer noch an der Backe haben.«
»Leider schon.«
»Wundert mich, dass ihn noch niemand totgeprügelt oder ihm einen Schlagstock in den Hintern geschoben hat.«
»Ich habe schon darüber nachgedacht«, sagte Thorne, bevor er Brand von dem jüngsten Beispiel für Jesmonds widersprüchliches Denken berichtete und dabei einer Menge aufgestauter Aggressionen Luft machte. Obwohl Brigstocke in der Regel auf Thornes Seite war, tat es gut, mit jemandem vom Leder zu ziehen, der nicht diplomatisch zu sein brauchte.
»Ich habe das von dem Gefängnisaufseher gehört«, sagte Brand.
»Cook, ja …«
»Klingt so, als würde das Ganze jetzt so richtig scheußlich werden.«
»Wie Sie schon sagten, ein ›Wespennest‹.«
»Schlangengrube trifft es eher.«
Der Himmel präsentierte sich in einem verwaschenen Grau, doch die Sonne kämpfte sich stellenweise durch, und als Thorne am Albert Embankment entlangging, konnte er hinter der Lambeth Bridge die obere Hälfte des London Eye sehen, während etwa eine Meile entfernt, auf der anderen Seite des Flusses, die Türme von Westminster gerade noch zu erkennen waren. Die Spione hatten wirklich einen tollen Ausblick, dachte Thorne, wenn sie nicht gerade damit beschäftigt waren, für die Sicherheit der freien Welt zu sorgen. Oder wofür auch immer.
»Wo sind Sie denn gerade?«, fragte Brand. »Hört sich an, als wären Sie unterwegs.«
Thorne erzählte Brand von seinem Termin bei der SOCA . Brand sagte, er hoffe, Thorne sei darauf vorbereitet, herablassend behandelt zu werden, und fragte ihn, ob er mit einem der Namen, die er ihm genannt hatte, Glück gehabt habe. Thorne erwiderte, dass bislang keiner davon eine Verbindung zu Langford hergestellt habe.
»Tut mir leid«, sagte Brand. »Das war alles, womit ich auf die Schnelle aufwarten konnte. Möchten Sie, dass ich weitersuche?«
»Machen Sie sich keine Mühe«, erwiderte
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