Tom Thorne 10 - Tödlicher Verdacht
dass es ein Alptraum sein musste, mit ihr zusammenzuleben, und sie war immer wieder erstaunt darüber, dass Kate sie nicht schon längst in die Wüste geschickt hatte.
Sie war diesen Leuten dankbar, dass sie Ellie ein Zuhause gegeben hatten, hasste sie aber gleichzeitig dafür. Es freute sie, dass ihre kleine Tochter die Familie aus ihnen gemacht hatte, die sie sein wollten, doch sie nahm ihnen jeden Moment übel, den sie mit ihr verbracht hatten. Sie verstand ihren Kummer, und sie weidete sich daran, da er nicht so echt, so begründet war wie ihr eigener und es auch niemals sein würde.
Donna starrte auf das Haus der Munros, das auf seine Weise genauso schön und kalt war wie das, in dem sie einst gewohnt hatte, und stellte sich die Eheleute darin vor, wie sie in den frühen Morgenstunden vor Verzweiflung wach lagen. Er über einen glänzenden Küchentisch gebeugt, sie allein im Obergeschoss, wo sie in ihr Kopfkissen weinte, während die Kluft zwischen ihnen, die sich durch Ellies Abwesenheit aufgetan hatte, mit jedem Tag größer und dunkler wurde.
Ellie Langford , nicht Munro . Ihr Name.
Donna betrachtete das Haus, und die Säulen an beiden Seiten des Vordachs begannen zu verschwimmen, als sich ihre Augen mit Tränen füllten.
Alberne Kuh. Hör auf!
Die Fotos hatten geholfen, wenn auch nur ein bisschen. Zumindest wusste sie, wie Ellie jetzt aussah, hatte gesehen, inwieweit sich das Gesicht ihres kleinen Mädchens verändert hatte und inwieweit es gleich geblieben war. Doch viele andere Dinge beunruhigten sie.
Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie ihre Tochter roch.
Thorne fragte sich, wie schon viele Male zuvor, ob Männer irgendwann einmal aufhören würden, einander abzuschätzen wie Rüden, die um eine Hündin konkurrierten. In der Regel dauerte es nicht länger als einen Moment, doch es passierte fast immer, wenn Männer sich zum ersten Mal begegneten. Dabei wurden nicht nur Oberflächlichkeiten registriert – die Bekleidung, der Haarschnitt, der ungefähre Wert von Uhr und Schuhen –, oft reichte es bis hin zur Festigkeit des Händedrucks sowie jenen unbehaglichen Sekunden Blickkontakt und der simplen, dummen, kindischen Frage, ob man es mit dem anderen würde aufnehmen können, wenn es zu einer guten, altmodischen Schlägerei käme.
Er war zu dem Schluss gekommen, dass das Bedürfnis, sich auf diese Weise zu messen, vermutlich erst dann erlosch, wenn ein Mann damit aufhörte, die Frauen abzuschätzen, die ihm begegneten, und sich völlig andere, aber ebenso dumme Dinge zu fragen.
Es war lächerlich, daran bestand für Thorne kein Zweifel, doch es war andererseits ebenso natürlich wie zu atmen, und im Großen und Ganzen ziemlich harmlos. Zumindest für diejenigen, die wussten, wo die Grenze zu ziehen war. Bei der Einsatzbesprechung am Vormittag hatte er die neue Kollegin ein bisschen länger angesehen, als unbedingt nötig gewesen wäre. Jetzt musterte er die beiden Mitarbeiter der SOCA , die ihn begrüßten, als er im vierten Stock aus dem Aufzug trat, und ihn einen Korridor entlang zu einem Besprechungszimmer führten, das nach neuem Teppich und Wachspolitur roch.
»Kaffee ist unterwegs«, sagte einer der beiden.
»Kekse auch?«
»Ich werde sehen, was wir tun können …«
Sie nahmen an einem großen Konferenztisch aus hellem Holz Platz, auf dem ein Krug mit Wasser und ein halbes Dutzend Gläser standen. Außerdem lag vor jedem Stuhl ein Notizbuch. Der größere der beiden Agentur-Mitarbeiter, der sich als Nick Mullenger vorgestellt hatte, fing an, eine Sammlung von Fotos, Tabellen und vergrößerten Kartenausschnitten auf dem Tisch auszulegen. Er war Anfang dreißig, hatte dichtes, dunkles Haar, Aknenarben und eine Stimme, die geradezu perfekt für billig gemachte Radiowerbung klang. Sein Kollege hatte sich nicht die Mühe gemacht, höflichkeitshalber seinen Vornamen zu nennen, daher vermutete Thorne, dass er entweder unter Zeitdruck stand oder versuchte, rätselhafter zu wirken, als er in Wirklichkeit war. Silcox war kleiner als Thorne, aber ungefähr genauso alt. Wie Mullenger trug er Anzug und Krawatte, füllte seinen aber ein bisschen besser aus als sein Kollege. Er hatte weniger Haare als Mullenger und auch weniger zu sagen, und wenn er sprach, dann kaum lauter als im Flüsterton, als sei mit seinem Hals irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung. Er mochte eine starke Erkältung gehabt haben, vielleicht aber auch Krebs, daher verzichtete Thorne darauf nachzufragen.
»Also,
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