Tonio
sicher«, schaltete sich jetzt der Beamte Windig ein. »Die Kraft des Aufpralls … der Winkel, in dem Fahrrad und Auto sich zueinander befanden … das alles muß gründlich untersucht werden. Das Ergebnis wird noch etwas auf sich warten lassen. Das Auto wurde beschlagnahmt und wirdjetzt mit dem Fahrrad des Opfers im Labor verschiedenen Tests unterzogen. Das Fahrrad kann beispielsweise einen Abdruck in der Karosserie hinterlassen haben. Ein solches Detail kann etwas über den Hergang aussagen.«
»Außerdem«, fuhr Hendriks fort, »sind Aufnahmen einer Überwachungskamera auf dem Max Euweplein aufgetaucht. Vom Holland Casino, wenn ich mich nicht irre. Sie sind beschlagnahmt worden. Die Bilder werden untersucht. Es handelt sich um Aufnahmen aus großer Entfernung, aber vielleicht geben sie doch einen gewissen Aufschluß.«
»Hauptsache, ich muß sie nicht sehen«, sagte Mirjam. »Ich habe noch das erste Foto, das von unserem Sohn gemacht wurde, als er im Brutkasten lag. Eine verblichene Polaroidaufnahme. Schon die wage ich mir schon kaum mehr anzusehen …«
Die Überwachungskamerabilder im Hinterkopf, wie sie oft von Überfällen auf Juweliergeschäfte und Tankstellen in Sendungen wie Aktenzeichen XY … ungelöst gezeigt werden, versuchte ich, mir die letzten sich bewegenden Bilder von Tonio vorzustellen. Ruckhaft, in kleinen Sprüngen, kam er angeradelt – um schon bald durch den ebenfalls ruckhaft heranbrausenden BMW aus dem Blickfeld zu verschwinden. Weshalb war ich mir so sicher, daß es ein BMW war? Weil mir diese protzige Marke immer zuwider gewesen war?
»Von was für einem Auto ist er eigentlich angefahren worden?« fragte ich, im Grunde nur, um die Bestätigung für den BMW zu erhalten.
»Einem Suzuki«, sagte der Beamte Hendriks. »Einem roten Suzuki Swift.«
Aus der Ledertasche zwischen seinen Füßen zog Hendriks eine Mappe hervor und legte sie auf den Glastisch. Um mehr Platz zu schaffen, schob er die Keksschale in meine Richtung, wodurch der Butterduft sich noch verstärkte. Hendriks schlug die Mappe auf und blätterte in den Papieren – bis er eine Lageskizze von der Kreuzung Hobbemastraat/Stadhouderskade gefunden hatte, samt der kindlichen Abbildung eines kleinen roten Autos.
»Meine Schuld an diesem Unfall scheint immer größer zu werden«, sagte ich.
Die Polizisten sahen mich fragend an.
»Er schreibt gerade ein Buch über den Mord an …« begann Mirjam. Ich sah sie an und schüttelte den Kopf. Es schien mir nicht der richtige Augenblick, den Polizeiapparat Amsterdam-Amstelland über einen Roman zu informieren, der den Mord an einer ihrer Kolleginnen in Amstelveen behandelt. »Dann erzähl es selbst«, sagte sie.
»In dem Roman, an dem ich gerade schreibe«, erläuterte ich, »spielen drei Autos Marke Suzuki Swift eine Rolle. Kurz bevor die eigentliche Handlung beginnt, wird ein roter Suzuki Swift schwarz umgespritzt. Einfach, um die Verwirrung zu vergrößern … den Leser auf die falsche Fährte zu locken … Der rote Suzuki da auf Ihrer Zeichnung ist auch kurz davor, in schwarzen Lack getaucht zu werden.«
»Nein, nein, da täuschen Sie sich …« Für Windig war das alles ein wenig zu übertragen formuliert. »Ach so, Sie meinen … ob …«
»Der Herr spricht vom Leichenwagen«, sagte Hendriks leise. Er breitete ein paar Fotos von der Kreuzung auf dem Tisch aus. Es waren Bilder von Google Earth, ganz normal bei Tageslicht aufgenommen. »Nur um Ihnen eine Vorstellung von der Verkehrssituation vor Ort zu geben. Darauf ist nichts Schreckliches zu sehen.«
Um die Satellitenfotos genauer betrachten zu können, mußte ich mich von meinem Sessel aus weit vorbeugen, so daß meine Nase nun direkt über der Schale hing. Und wenn die Butterkekse noch so frisch waren, wenn man keinen Appetit darauf hatte, beispielsweise weil auf einer Lageskizze Pfeile angaben, wo dein Sohn so gut wie totgefahren wurde, bekam der fade Geruch von selbst etwas Ranziges.
13
Eine Überwachungskamera des Holland Casino hatte Tonios tödlichen Sturz festgehalten, während drinnen, im Gebäude, das Glücksrad weiterratterte und wieder stehenblieb. Rien ne va plus . So war das Ende seines bewußten Lebens im Film verewigt worden. Genauso wie der gewaltsame Tod von Tonnis Mombarg aus Die Movo-Tapes von einer Verkehrskamera der obersten Straßen- und Wasserbaubehörde registriert wurde (beziehungsweise des Generaldirektorats Wasserwirtschaft, wie es im Buch heißt).
Ich mußte an das erste Mal denken, als
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