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Tonio

Tonio

Titel: Tonio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.f.th. van Der Heijden
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unmittelbar nach seinem Tod gemacht wurden.«
    »Davon hatte er diese Lungenverletzung«, sagte Mirjam. Sie schüttelte den Kopf. »So völlig kaputt, wie der Junge innerlich war.«
    »Und seine Milz«, sagte ich. »Die mußte sofort zur Hälfte entfernt werden. Später ganz.«
    Die Polizisten zeigten sich erstaunt, daß wir über Tonios Verletzungen so detailliert Bescheid wußten. »Das AMC erzählt uns immer so wenig wie möglich«, sagte Windig. »Sie berufen sich dabei auf die ärztliche Schweigepflicht. Ihr Berufsgeheimnis.«
    »Das VU ist noch schlimmer«, sagte Hendriks. »Die geben am liebsten überhaupt nichts preis.«
    »Aber Sie verfügen über das Fotomaterial des Gerichtsfotografen«, sagte ich. »Was schließen Sie anhand dieser Bilder aus Tonios Verletzungen in bezug auf den Unfall?«
    »Es besteht die Vermutung«, sagte Hendriks, »daß das Opfer mit großer Wucht gegen den Türrahmen geschlagen ist. Eine Verformung der Karosserie scheint diese Vermutung zu bestätigen.«
    »War sein Tod die Folge von reinem Pech?« fragte ich. »Ich meine, von einem falschen … von einem denkbar unglücklichen Aufprall?«
    »Damit ein solcher Unfall, bei dem ein Radfahrer erfaßt wird, tödlich ausgeht«, sagte Windig, »braucht ein Auto nicht schneller als dreißig zu fahren. Sagen wir mal, daß dieses fünfzig fuhr.«
    »Man experimentiert ja schon intensiv mit Airbags für Radfahrer«, sagte Hendriks. »Aber soweit sind wir natürlich noch nicht.«
    Seine Bemerkung mündete in eine Stille, in der der mehligsüße Geruch des Gebäcks fast unerträglich wurde.
    »Was für ein Junge war Tonio eigentlich?« fragte Windig auf einmal, sich an Mirjam wendend. Die Frage fiel so aus dem Rahmen dieses Gesprächs, daß sie verlegen wurde. Eine ganze Weile starrte sie auf ihre Knie.
16
     
    »Na ja«, sagte Mirjam schließlich, »ein Junge, dem man so ein Unglück am wenigsten wünscht. Lieb, gutaussehend, talentiert. Sehr hilfsbereit und ab und an auf rührende Weise faul. Ein Sohn, mit dem wir nie wirklich Streit hatten. Selbst wenn wir es gewollt hätten – soweit ließ er es einfach nicht kommen. Ich mag Spielfilme, wenn Tonio mir also zu meinem Geburtstag ein paar DVD s gebracht hätte, dann wäre das schon sehr schön und lieb gewesen. Aber nein, er lieferte dann noch ein Buch mit sämtlichen Filmtiteln des vergangenen Jahrhunderts dazu. Doppelt so dick wie das Telefonbuch. So ein Junge war Tonio. Widersprüchliches gab‘s genug, so ist es nicht. Mal erschien er auf dem Weg zu einer Fete im Smoking. Dann wieder hatte er, ebenfalls unterwegs zu einer Fete, einen Zweiwochenbart und einen Pferdeschwanz. Schwer festzulegen. Er und ich, wir waren Kumpel … echte Freunde … Verschwörer, wenn es sein mußte. Zu zweit durch die Stadt ziehen. Nach den häßlichsten Männerwaden in kurzen Hosen fahnden. ›Wo ist mein Wadenschußgerät?‹ riefen wir dann um die Wette. Eines Tages, am Anfang der Pubertät, fand Tonio, daß wir jetzt endlich mal so ein Wadenschußgerät im Bijenkorf kaufen müßten. Seine Enttäuschung, als sich herausstellte, daß es so was gar nicht gab! Aber nun mit einem Gummiband Papierknäuel auf so eine weiße Wade zu schießen … nein, das ging gegen seine Ehre. Er war einfach sehr lieb und freundlich und hilfsbereit, und stolz, wenn er jemandem helfen konnte. Ja, wie soll ich das sagen? Ein schönes Gegengewicht zu all der Rüpelhaftigkeit, mit der Ihre Kollegen hier alle Hände voll zu tun haben. Und dann einfach so auf der Straße totgefahren zu werden … mitten in der Nacht … So eine Verschwendung.«
    Mirjam ließ ihren Tränen jetzt freien Lauf. Die Männer der Abteilung Schwere Verkehrsunfälle sagten, trotz unserer anfänglichen Weigerung könnten wir immer noch Opferhilfe beantragen. Dem Fahrer des roten Suzuki sei ebenfalls Opferhilfe angeboten worden, und er habe sie angenommen.
    Die Untersuchung würde noch geraume Zeit in Anspruch nehmen. Sobald sie zu Ende sei, kämen wir sicherlich noch einmal zusammen »für ein Evaluationsgespräch«. Es gehe auch früher, wenn wir etwas wissen wollten oder »ein wenig Betreuung« bräuchten. Die Fotos von Tonios Verletzungen stünden zu unserer Verfügung, doch die Herren vermuteten, daß wir frühestens in einem Jahr soweit wären, sie uns anzusehen. Mirjam und ich blickten uns an: Sie schüttelte fast unmerklich den Kopf.
    Ich wandte mich an den Beamten Hendriks. »Sie haben am Telefon gesagt, daß Tonio Blut abgenommen wurde. Hat die

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