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Tonio

Tonio

Titel: Tonio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.f.th. van Der Heijden
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eine Chance, das andere Griechenland zu fotografieren. Das schlampige moderne. Sie flogen in Schiphol ab, mußten aber in Brüssel umsteigen. Tonio, viel zu obrigkeitshörig, hatte den Rat, als Handgepäck nur das Allernötigste mit in die Kabine zu nehmen, zu wörtlich genommen und die teure Kamera in den Koffer gelegt.
    Zaventem war in jenen Jahren berüchtigt für seine korrupte Gepäckabfertigung. Beim Transport der Koffer zum Flugzeug nach Griechenland wurde Tonios Fotoausrüstung gestohlen.
    Ich erinnere mich, wie entsetzt ich war, als bei einer Busreise nach Luxemburg, wo ich mit einer Gruppe zelten wollte, mein neues Miniaturtöpfeset (Geschenk von Oma) spurlos verschwunden war. Mein Heimweh paßte genau in die Lücke, die die verlorenen Campingutensilien hinterlassen hatten. Ich war zwölf. In meinem Gepäck fand ich nur noch die Dose mit grüner Seife, mit der die Töpfe außen eingeschmiert werden mußten, damit das Aluminium überdem Lagerfeuer nicht schwarz wurde. Das Abenteuer war zerstört.
    Tonio meldete uns den Diebstahl telefonisch. Er hielt sich tapfer. Wie seine Betreuer später erzählten, hatte er sich an allen Aktivitäten beteiligt. Ihm war nichts anzumerken gewesen. Ich wußte es besser. Er hatte den demütigenden Verlust seiner Ausrüstung stets mit sich getragen. Bei allem, was er fotografieren wollte, blieb ihm nichts anderes übrig, als mit zwei Daumen und zwei Zeigefingern ein Viereck zu bilden.
    Wenn ich in diesen Tagen die Trübsal wieder einmal wie einen Betonklotz in mir spüre, stelle ich mir den fünfzehnjährigen Tonio in Griechenland vor, um den Hals den Stein, wo seine stolze Kamera hätte hängen müssen. So wie eine unerwartet laute Alarmglocke auf eine volle Blase schlagen kann, wirkt der Gedanke an den gestohlenen Apparat auf mein Gemüt. Tränen, endlich – zwei, aber fürs erste genug.
10
     
    »Diese ganzen Details … ich weiß nicht, ob ich das verkrafte«, hatte Mirjam ein paar Tage zuvor zu mir gesagt.
    »Gut, dann geh ich allein«, hatte ich erwidert. Doch jetzt, da der Tag gekommen war, mußte ich mir die Frage stellen, ob ich das verkraften würde, so ganz allein. Ich schlug ihr vor, mitzukommen und den Raum zu verlassen, sobald das Besprochene sie zu sehr angreife. »Zumindest wartet dann hinterher jemand draußen auf mich.«
    Ein Beamter der Dienststelle Kontrolle Infrastruktur und Verkehr, Abteilung Schwere Verkehrsunfälle, mit Sitz in der James Wattstraat unweit des Amstel-Bahnhofs, hatte telefonisch angeboten, mit seinem Kollegen zu einer Polizeiwache in unserer Nähe zu kommen, um uns nicht noch stärker zu belasten. Wir einigten uns auf das Revier am Koninginneweg. Zeitpunkt: drei Uhr.
    »Laß uns mit dem Auto hinfahren«, sagte ich.
    »Was?« rief Mirjam. »Für das kleine Stück?«
    »Ich darf gar nicht dran denken, Minchen, daß mich irgendwelche Leute auf der Straße anhalten könnten, um mir zu kondolieren.«
    Zum Glück stand das Auto genau vor der Tür, so daß ich nach wenigen Schritten vom Eingang in Sicherheit war. Mirjam ging noch einmal kurz zurück, um Tonios Handy zu holen, das er zum Zeitpunkt des Unfalls bei sich hatte und das uns im AMC , in Plastik versiegelt, ausgehändigt worden war. Der Polizeibeamte der Abteilung Schwere Verkehrsunfälle hatte erklärt, er wolle überprüfen, ob das Opfer möglicherweise in dem verhängnisvollen Moment während des Fahrens telefoniert hatte. Mirjam legte den Apparat in die durchsichtige Tüte zurück und reichte sie mir.
    »Diese Plastiktasche«, fragte ich, »sollen sie denken, wir hätten das Ding nicht angefaßt? Die sehen auch so, daß die Tasche geöffnet wurde.«
    Sie zuckte mit den Achseln und ließ den Motor an. Bestimmt zwanzigmal hatten wir das Telefon durchforstet. Eingegangene Anrufe, die Telefonnummern mit und ohne Namensangabe. Die SMS . Die Nachrichten in der Mailbox, darunter einige schüchterne von einem Mädchen (das sich als die gesuchte Jenny entpuppte), mit immer dünner werdender Stimme, die letzte Nachricht mit der Bitte, Tonio möge doch zurückrufen oder sich auf Facebook melden. Sie nannte keine Telefonnummer, und bei keiner von Tonios gespeicherten Nummern hatte »Jenny« gestanden. Sie hatte keine SMS geschickt. Wir notierten alles und riefen alle uns bekannten Nummern an. Die Identität des Mädchens war auf diesem Wege nicht zu ermitteln.
    Wirklich eine kurze Fahrt. Wir parkten am Ende der Van Breestraat. An der Ecke Emmastraat liegt die Tierhandlung, die die Kiloballen

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