Tonio
von trockenem Knabberfutter für die Norwegischen Waldkatzen liefert. Obwohl es ein eintönig grauer Tag war, saß der Besitzer mit Freunden draußen auf einerBank, rauchend und trinkend. Er grüßte freundlich, auch neugierig, sprach uns aber zum Glück nicht an. Ich schob Mirjam schnell über die Straße, zwischen den parkenden Streifenwagen hindurch, zur ehemaligen Remise aus der Anfangszeit des Concertgebouw. Hier war Pfingstsonntagmorgen der uns unbekannte Autofahrer vernommen worden, der mit einem ihm unbekannten Radfahrer zusammengestoßen war.
Der kleine Empfangsraum sah schäbig und in die Jahre gekommen aus, mit einer aus der Systemdecke lose herabhängenden Korkfliese, wo, dem Kabelknäuel nach zu urteilen, an der Stromversorgung repariert worden war. Sogar jetzt konnte ich es nicht lassen, mich wegen der auf dem Polizeirevier spielenden Szenen meines neuen Romans gründlich umzusehen. In der Ecke machte sich eine Beamtin, gedämpft fluchend, an einem Kaffeeautomaten mit tropfenden Bechern zu schaffen.
Der Mann am Empfangstresen wußte Bescheid. Die Herren von der Abteilung Schwere Verkehrsunfälle befänden sich bereits im Gebäude, er würde sie persönlich benachrichtigen. »Augenblick.«
An Mirjams Blässe konnte ich ermessen, wie weiß ich selbst ungefähr aussah. Hier war ich schon zweimal gewesen. Beim ersten Mal, 1995, als ich bei der Rückfahrt aus Berlin meine Tasche im Zug hatte stehenlassen und von der Bahnpolizei an das Revier meines Viertels verwiesen worden war, wo ich ein Formular ausfüllen mußte. (Die Tasche war mir schließlich, ohne jegliches Zutun der Polizei, von einem jungen Rumänen nach Hause gebracht worden, der mit demselben Zug nach Amsterdam gereist war, um hier einen Sommerkurs in Volkswirtschaft zu besuchen. Er hatte sich der Tasche angenommen, »um mich für die Gastfreiheit erkenntlich zu zeigen, die ich hier jeden Sommer von neuem erlebt habe«. Ich hatte ihn daraufhin hereingebeten und ihm mit Essen und Getränken gedankt.)
Beim zweiten Mal hatte ich mich hierher begeben, nachdem ich offiziell dazu aufgefordert worden war. Ein freundlicher Polizist eröffnete mir, ich sei wegen Tätlichkeit gegen einen Kneipenbesucher angezeigt worden. Ich konnte mich an keinen Vorfall dieser Art in letzter Zeit erinnern. Dem Polizisten zufolge hatte er sich im Café Welling ereignet und einen kanadischen Touristen betroffen. Er gab mir eine Beschreibung des Mannes. Als er dessen Größe von zwei Meter zwei erwähnte, ging mir ein Licht auf. Nach dem Eröffnungsabend des Büchermarkts 2000 hatte mich am Stammtisch im Welling irgendein Möchtegerndichter bis aufs Blut gereizt. Ich hatte die Wahl, ihm eine zu knallen oder zu gehen, um eine Eskalation zu vermeiden. Ich entschied mich für letzteres.
Ich war noch nicht ganz zur Tür hinaus, da erklang eine keuchende, erregte Stimme hinter mir: »Sir, sir, do you have a moment … are you a writer, sir?«
Warum der Idiot sich plötzlich auf englisch an mich wandte, war mir egal, jedenfalls mußte jetzt endlich mal Schluß sein.
11
Blind vor Wut drehte ich mich um, und schon hatte ich den nervenden Poeten an den Jackenaufschlägen gepackt. Ich legte ihn – uff, war der im Stehen lang und schwer – in einer fließenden Bewegung quer über einen leeren Fahrradständer an der Bordsteinkante. Als der Mann in seiner ganzen Länge von mindestens zwei Metern auf dem Fakirbett aus gebogenen Rohren lag, wurde ich mir meines Irrtums bewußt. Es war nicht der Dichter, der mich zuvor im Lokal belästigt hatte, sondern, wie sich rasch herausstellte, ein an niederländischer Literatur interessierter kanadischer Student. Seine Amsterdamer Freunde eilten ihm zu Hilfe. Ich reichte dem Kanadier die Hand und zog ihn unter tausend Entschuldigungen vom Fahrradständer. Während ich ihm das Versehen erklärte, klopfte ich ihm die Kleidung ab. Er habe sich doch hoffentlich nicht verletzt? O nein. Dürfe ich ihm etwas zu trinken anbieten? Aber sicher. Ich bestellte an der Theke ein ganzes Tablett, auch für die Gastgeber des Kanadiers. Wir tranken Runde um Runde (ich zahlte alles) auf die Bruderschaft unserer weit auseinanderliegenden, aber durch Migration verbundenen Kontinente, auf die Literatur unserer beider Länder und auf unsere mit jeder Viertelstunde innigere Freundschaft.
»Was für ein Glück«, sagte der Kanadier, »daß unser kleines Handgemenge auf einem Irrtum beruhte.«
Ich erstattete dem Polizisten Bericht von dem solchermaßen
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