Tonio
fragte ich Mirjam.
Sie wies auf die leeren Longdrinkgläser auf dem niedrigen Tisch.
»Wer trinkt einen Wodka mit?« rief ich.
Der kniende Mann, im Arbeitsanzug, lehnte ab. Our Man In Africa stimmte zögerlich nickend zu.
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Erstgenannter zwei längliche Gegenstände aus der Werkzeugtasche zutage förderte und zusammenschraubte. Das hatte gerade noch gefehlt in dieser Posse. Ein Schalldämpfer reduzierte das Geräusch auf das »einer Pfeilspitze, die in eine reife Frucht dringt«, wie ich einmal in einem alten Krimi gelesen hatte. Die reife Frucht, das war dann wohl mein Kopf. Verfaulend und wurmstichig. Voll rostbraunen Fruchtfleischs, das durch die Löcher, die in seine Schale geschossen worden waren, hinausblubberte.
Ich merkte, daß ich beim Zeittotschlagen in der Brouwersgracht und Umgebung ganz schön getrunken hatte.
Ich blickte zu dem langen Mann. Er hielt einen Bohrer in der Hand. Er richtete sich auf und ging zur Wohnungstür. Er bohrte etliche Löcher rund um das Loch, in dem das alte Zylinderschloß gesteckt hatte.
Der Geruch von Sägemehl trieb ins Wohnzimmer, aber ich roch noch etwas, das mir schon bei meiner Ankunft aufgefallen war. Feuchte Pappe. Ich sah mich im Zimmer um. Überall standen Umzugskartons, einige aufgeklappt. Auf jedem Karton ein schwarzes Kreuz mit einem Kreis darum herum: der stilisierte Flaschenzug, das Logo des ANERKANNTEN UMZUGSUNTERNEHMENS . Solange ich den Blick auf dieses umkreiste Kreuz richtete, würden meineGedanken sich von selbst ordnen. Was war hier im Gange?
Die Bücherschränke hinter dem Sofa, auf dem der Korrespondent Ohne Grenzen saß, schienen voller als sonst. Ich hatte etliches getrunken, sah aber nicht doppelt und schon gar keine doppelten Buchrücken. Sicherheitshalber kniff ich das eine Auge zu. Verdammt, da waren Bücher hinzugekommen. Die Titel auf den Rücken konnte ich aus dieser Entfernung nicht lesen.
Mirjam kam mit der Wodkaflasche ins Zimmer.
»Aha«, sagte ich und nickte in Richtung eines der Kartons, »der Verrat riecht heute nach feuchter Pappe.«
Sie hatte mich heraufgeholt, um mich noch mehr zu demütigen. Ich durfte zusehen, wie der Diplomat bei ihr einzog und meine Bücherschränke kolonisierte.
»Stell dich nicht an, Blödmann«, sagte Mirjam. »Diese Kartons haben eineinhalb Jahre im Abstellraum gestanden. Seit dem zweiten November 1990, als wir aus Loenen kamen, weißt du noch? Du hattest die Nase dermaßen voll von allen Umzügen, daß sie vorläufig unausgepackt bleiben sollten. Ja? Der Rest der Bücher, der könnte warten. Also, heute kam ich endlich dazu, sie auszupacken. Du tust es ja nicht für mich.«
8
Der Schlosser hatte jetzt auch das Schloß an der Wohnungstür ausgetauscht. Er warf sein Werkzeug in die schwarze Ledertasche und überreichte Mirjam einen Ring mit Schlüsseln. Dann setzte er sich, um die Rechnung zu schreiben.
»So, das war‘s.« Er gab Mirjam die Rechnung. »Keine Anfahrtskosten.«
Ich trank noch einen Wodka mit meinem Rivalen. Ehemaligen Rivalen, wie sich inzwischen gezeigt hatte. Mirjam brachte den Schlosser zur Tür. Weil ich nicht wußte, was ich zu Our Man sagen sollte, ging ich zum Fenster. Der Himmelbegann sich bereits zu verfärben. Der Schlosser stellte die schwarze Tasche hinten in den Lieferwagen, dessen Flanke in blitzartigen Großbuchstaben die Aufschrift KRIKKRAK trug und eine Telefonnummer.
»Du bist mir noch eine Erklärung schuldig«, sagte ich, als Mirjam wieder oben war.
Einander ergänzend, erstatteten Mirjam und ihr Korrespondent Bericht. Bevor sie ins Tartufo essen gingen, hatten sie im Zeppos, im ‘t Gebed Zonder End, etwas getrunken. Irgendwann entdeckte Mirjam, vielleicht als sie ihre letzte Zigarette der Krise anzünden wollte, daß ihr die Tasche gestohlen worden war. »Einfach von der Stuhllehne gezogen.« Viel Geld war nicht drin, aber, was schlimmer war: ihre Hausschlüssel. Aus Angst, der Dieb könnte das ganze Haus ausrauben, hatten sie bei Mirjams Eltern in der Lomanstraat (wo Tonio gut behütet in seinem Gästebett lag) die Reserveschlüssel geholt, um dann, bei vorgeschobenem Riegel, auf die Ankunft des Schlüsseldienstes zu warten. Rund-um-die-Uhr-Dienste standen genug in den Gelben Seiten , aber sie waren nicht alle Tag und Nacht einsatzbereit. Endlich hatten sie einen gefunden. Die Firma Krikkrak, auch für alle Ihre abgebrochenen Bärte. Mirjam hatte telefonisch ein paar Freunde losgeschickt, um mir Bescheid zu sagen.
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