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Tonio

Tonio

Titel: Tonio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.f.th. van Der Heijden
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Leben von vor einem halben Jahr auf mich wartete. Sie hatten es mir weggenommen, aber nicht für immer, und in der Zwischenzeit war es nur noch wertvoller geworden.
5
     
    Es war drei Uhr morgens. Ich hatte den federnd leichten Schritt eines Befreiten. Die Steintreppe zur Eingangstür: zwei, drei Sätze.
    Ich mußte den falschen Schlüssel aus der Tasche gezogen haben, den von meiner Wohnung in Duivelseiland, denn er paßte nicht. Der Bart prallte von dem glänzend neuen Zylinderschloß ab, das an die Stelle des stumpfen alten getreten war. Die Messingplatte spiegelte gehässig meine Finger mit dem untauglichen Schlüssel. Rund herum war, zweifellos beim Austausch, etwas von der grachtengrünen Farbe abgeblättert, die jetzt in Krümeln vor meinen Füßen auf der obersten Stufe lag, inmitten von Holzsplittern und zwei winzigen Sägemehlhäufchen. Wie es aussah, war da noch niemand durchgelaufen. Der Einbau des neuen Schlosses konnte also erst vor kurzem erfolgt sein. Ungläubig blickte ich eine Weile wie gelähmt auf die Krümel, die Splitter und das Sägemehl. Alles war zum Schluß wieder mal anders, als ich mir hatte vorgaukeln lassen. Dazu also konnte verliebt gegen führen. Zum Gnadenstoß, direkt hinter meinem Ohr.
    Ich trottete die Treppe hinunter und ging rückwärts so weit wie möglich auf die Straße, bis ans Wasser. Beinahemußte ich mit der Hand mein Kinn ausrenken, bevor ich hochzuschauen wagte. Im Wohnzimmer, dessen weiße Vorhänge zugezogen waren, brannte Licht – was zu dieser späten Stunde meist bedeutete, daß niemand zu Hause war.
    Es war aber jemand zu Hause. Auf die weißen Falten wurde ein chinesisches Schattenspiel zweier aufeinander zuwogender Gestalten projiziert. So sah man es in alten Hollywoodfilmen, wobei ein Privatdetektiv hinter der Mülltonne kauerte und der Ehemann mit den wachsenden Hörnern nervös rauchend an einem Laternenpfahl lehnte. Die beiden Gestalten standen kurz still und plätscherten dann durcheinander hindurch, was ziemlich intim aussah. Meine Frau und Der Korrespondent Ohne Grenzen, ohne Zweifel: Mirjam erkannte ich an dem terrassenförmig aufgesteckten Haar, dessen Umrisse in dem Schattenspiel nicht verlorengingen.
    Verdammter Mist, wie hatte ich mich nur so gefügig in einen abgelegenen Stadtteil dirigieren lassen, so daß sie in aller Ruhe ihre Vorkehrungen treffen konnten, um mich endgültig auszuschließen? Wer so naiv war, verdiente es nicht besser.
    Oha, da richtete sich, nur zu, eine dritte Silhouette auf. Lang, männlich, mit großem Kopf, der vom Fensterrahmen oben abgeschnitten wurde. Ein Gegenstand wechselte über ausgestreckte Arme von einem Schatten zum anderen.
    Ach Minchen, Minchen, das wäre doch auch anders gegangen. Mein ganzes Glück an diesem einen Freitagabend im Eimer, inklusive des Glücks, das mir nicht zustand. Und Mirjam? Sie hatte das Glück, das ihr nicht zustand, schwuppdiwupp ins Haus geholt und sofort das Türschloß ausgetauscht. Wenn schon, denn schon.
    Aber warum so umständlich? Sie hätte mich, was schon schlimm genug gewesen wäre, doch einfach verlassen können? Warum hatte sie dem Symbole aus harten, beständigen Materialien hinzugefügt – und dann auch noch zum Nachttarif? Jemandem die Tür vor der Nase zuzuschlagen war heutzutage offenbar nicht mehr genug. Hatte der Ausgesperrteeine Elefantenhaut und blieb da dämlich stehen, bis ihm wieder aufgemacht wurde, dann durfte er miterleben, wie ein feiner Bohrer durchs Holz drang …
    Währenddessen stand ich, Herrgott noch mal, vor einer geschlossenen Tür, was bedeutete, daß ich den Einfallsreichtum der Gegenseite unterschätzt hatte.
    Vielleicht hatte ich mich zu sehr an die Idee geklammert, Mirjam sei verliebt gegen mich anstatt verliebt in den anderen. Daß sie Our Man In Africa jetzt möglicherweise in die Wüste schickte, brauchte noch nicht zu bedeuten, ich würde automatisch wieder in Gnaden aufgenommen. Es war mein Fehler gewesen, zu denken, diese ganze Verliebtheit »gegen« müsse der Natur der Sache nach etwas zeitlich Begrenztes sein. Ich schloß nicht länger aus, daß sie so total und unbändig – mit Hilfe welchen Mannes auch immer – gegen mich verliebt war, daß ich hier auf den Eingangsstufen ratzfatz ausrangiert wurde.
6
     
    Ich mußte an einen Morgen nicht lange nach Tonios Geburt denken. Früh aufgewacht, hatte ich beim ersten Tageslicht auf meinen schlafenden Schatz geblickt. Völlig unerwartet, in einer Art wogendem Schleichgang, kroch ihre Hand über

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