Tony Mendez 01 - Schwärzer als der Tod
soll auch noch eine weitere Frau vermisst werden …«
»Das alles kommt mir so vor, als wären wir gestern in einem Disney-Film aufgewacht, und heute Abend finden wir uns plötzlich in einem Film von John Carpenter wieder«, sagte Franny. »Vielleicht übernimmt Jamie Lee Curtis ja deine Rolle.«
Anne warf ihm einen Blick zu. »Wirst du den Mann an meiner Seite geben?«
»Liebes, ich bin der Mann an deiner Seite.«
»Und wer wird deine Rolle in dem Film übernehmen?«
»Richard Gere natürlich«, antwortete er ohne Zögern. »Er ist insgeheim schwul, weißt du.«
»Du glaubst offenbar, dass jeder gut aussehende Mann auf Erden insgeheim schwul ist.«
»Nein, das tu ich nicht. Der scharfe Detective von heute Morgen - definitiv nicht schwul.«
»Du hast ihn doch gar nicht gesehen, woher weißt du, dass er scharf ist?«
Er grinste breit. »Das hast du mir soeben bestätigt.«
Anne stieg die Hitze ins Gesicht. Musste am Wein liegen, sagte sie sich.
»Du solltest es wirklich bei ihm probieren.«
»Er hat gerade ein bisschen viel um die Ohren«, erklärte Anne. »Genau wie ich. Ich muss eine Möglichkeit finden, zu Dennis durchzudringen. Frank Farman sagt, dass Dennis wohlauf ist. Warum sollte es ihm auch nahegehen, wenn er eine grauenvoll zugerichtete ermordete Frau findet? Wenn es nicht die erste Tote ist, die er im Wald gesehen hat, dann ist es ein alter Hut für ihn.«
»Liebes, das hat er sich doch bestimmt bloß ausgedacht«, sagte Franny. »Dennis Farman ist ein unangenehmer kleiner Zeitgenosse. Seit der dritten Klasse schaut er seinen Lehrerinnen unter den Rock. Wahrscheinlich hortet er unter seinem Bett stapelweise Sadomaso-Hefte. Da braucht es nicht viel Phantasie, sich vorzustellen, dass er sich Geschichten über im Wald verbuddelte Leichen ausdenkt, um andere Kinder zu erschrecken.«
Anne seufzte und streckte die Hand aus, um dem Basset über die Schnauze zu streicheln, der zur Veranda getrottet
war, um nach dem Rechten zu sehen. »Wahrscheinlich hat du recht. Er wollte einmal eine tote Katze mit in den Unterricht bringen, als er an der Reihe war, seine Hobbys vorzustellen.«
»Das glaub ich nicht!«
»Wenn ich’s doch sage. In der ersten Woche. Er hatte sie auf dem Weg zur Schule auf der Straße gefunden, plattgefahren.«
Anne schüttelte sich bei der Erinnerung an den Vorfall und den Ausdruck auf Dennis Farmans Gesicht. Sie hatte an jenem Tag nicht weiter darüber nachgedacht, weil sie genug damit zu tun gehabt hatte, die tote Katze zu entsorgen, aber jetzt stand ihr das Bild wieder deutlich vor Augen: eine merkwürdige Begeisterung, die weit über die natürliche Neugier eines Kindes hinausging.
»Vielleicht hat er sie gebissen und sie dabei mit Tollwut angesteckt«, sagte Franny. »Warum hast du mir nie davon erzählt?«
»Du warst krank«, sagte Anne. »Die Wurzelbehandlung.«
»Ogottogott!«, rief er und presste eine Hand auf die Brust. »Ich dachte, ich müsste sterben und würde ohne Umwege aus Dr. Cranes Praxis ins Leichenschauhaus transportiert werden! Es war fürchterlich.«
»Peter Crane?«, fragte Anne. »Tommys Vater?«
»Ja. Ein echt steiler Zahn.«
»Aber auch nicht schwul.«
»Nein. Und seine Frau macht mir ein bisschen Angst. Hast du diese Schulterpolster gesehen? Brrrh! Der kann nicht mal Joan Crawford das Wasser reichen, Liebes.«
»Den Eindruck habe ich allmählich auch«, sagte Anne.
Sie sah auf die Uhr und seufzte. Sie war zum Büro des Sheriffs gegangen, weil sie mit Mendez persönlich sprechen wollte, aber man hatte ihr mitgeteilt, dass er an diesem Tag
nicht mehr kommen würde. Dann hatte sie unter der Nummer auf seiner Visitenkarte angerufen und ihm eine Nachricht hinterlassen mit der Bitte, sie so schnell wie möglich zurückzurufen. Bislang hatte er sich noch nicht gemeldet.
Jetzt, da es langsam spät wurde und sie müde von dem aufreibenden Tag war, dachte sie, dass sie womöglich überreagiert hatte, dass Mendez wahrscheinlich die Augen verdrehte, wenn er ihre Nachricht abhörte, und sie für hysterisch hielt. Er und Frank Farman würden bestimmt herzhaft über sie lachen.
»Weißt du«, sagte sie, »ich war immer davon überzeugt, dass ich weiß, wie die Kinder in meiner Klasse ticken. Ich habe eine schnelle Auffassungsgabe. Ich lerne die Eltern an den Elternabenden kennen und denke, dass ich sofort weiß, wie es bei ihnen zu Hause zugeht. Mensch, war ich naiv … oder arrogant … Ach, was weiß ich.«
Franny legte einen Arm um ihre Schultern und
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