Top Secret - Der Ausbruch
um sich einen Platz am oberen Ende der Hackordnung zu sichern. Sie waren fünfzehn
und sechzehn, untersetzt und ihre wabbeligen Bäuche hingen ihnen über den Rand ihrer Shorts.
Die Duff-Brüder waren zu lebenslanger Haft ohne Bewährung verurteilt, weil sie ein achtjähriges Mädchen entführt und umgebracht hatten. Fast alle Zellengenossen von James waren Mörder, aber dieses Verbrechen war ihm richtig unter die Haut gegangen, als er davon gelesen hatte. Das Opfer mit den kleinen Grübchen, das im Zeitungsausschnitt abgebildet war, war zwei Tage später geboren als Lauren und sah ihr sogar ein wenig ähnlich.
»Wir werden dem Mickerling mit seinem Formular helfen«, verkündete Raymond, der Jüngere der Brüder, und griff grinsend nach dem Blatt in James’ Hand.
»Ihr wollt ihn wohl eher ausrauben«, erwiderte James und flüchtete hinters Bett, um das Formular außer Reichweite zu bringen.
»Du willst doch keinen Ärger mit uns, oder?«, meinte Raymond kopfschüttelnd.
Dave erhob sich und baute sich vor den beiden Rothaarigen auf. »Wer meinen Bruder anfasst, bekommt es mit mir zu tun!«
Jeder andere hätte gesehen, dass Dave dort, wo Stanley nur Fettgewebe hatte, Muskeln besaß, doch das Denken schien nicht gerade die Stärke der Duff-Brüder zu sein.
Stanley holte mit seinem feisten Arm aus. Vielleicht wäre der Schlag sogar schmerzhaft gewesen,
aber bis er landete, hätte sich Dave die Zehennägel schneiden können. Nachdem er die Faust mit spielerischer Leichtigkeit abgewehrt hatte, stieß er Stanley den Ellbogen in den Bauch. Als Stanley sich vor Schmerz krümmte, zog er ihm die Beine weg.
James erinnerte sich daran, dass Scott ihm geraten hatte, vom ersten Tag an tough aufzutreten. Also sprang er auf und griff Raymond an. Sein pummeliger Gegner stolperte unter einem Hagel wohlgezielter Schläge rückwärts durch den Gang und landete mit einer blutigen Nase und einer aufgeplatzten Lippe auf Abes Bett.
James sprang auf ihn und hielt seine Arme fest. Vor seinen Augen stand das Gesicht des ermordeten kleinen Mädchens. Wutentbrannt drückte er Raymonds Hals mit einer Hand auf die Matratze und holte aus, um ihm mit der anderen Hand den Kiefer zu brechen.
»Das reicht!«, rief Dave.
James sah ein, dass er es übertrieben hatte, und ließ sich von Dave wegziehen. Dabei mussten sie über Stanley hinwegsteigen, der benommen auf dem Boden lag.
Einer der Latinos stieß einen Warnruf aus. »Auf dem Gang!«
James blickte auf und sah einen der Schließer auf den Metallsteg treten, der über ihren Köpfen an der Zellenwand entlanglief.
»Abzählen!«, rief der Schließer.
James und Dave wussten nicht, was das heißen sollte, aber die anderen sprangen auf. Sie schalteten die Fernseher und Radios aus und standen zum Abzählen am Fußende ihrer Betten. James und Dave machten es ihnen nach.
Stanley Duff schaffte es, sich in Position zu bringen, aber Raymond blieb auf Abes Bett liegen, hielt sich die Hände vors Gesicht und schluchzte vor Schmerz. Der Schließer lehnte sich über das Geländer und betrachtete Raymond.
»Stillgestanden!«, befahl er. »Jeder, der sich bewegt oder seine große Klappe aufreißt, bekommt zwei Tage im Loch!«
Schnell lief der Schließer zu einem Telefon am Ende des Ganges. Wenn die Drohung mit der winzigen, stockdunklen Einzelzelle, die nur »das Loch« hieß, nicht wirkte, dann gab es noch ein Regal mit Betäubungsgranaten und Gewehren, aus denen Tränengaspatronen oder auch Gummikugeln abgeschossen werden konnten.
Etwa eine Viertelstunde standen die Jungen stramm und warteten auf zwei Häftlinge aus dem Gefängniskrankenhaus. Erst als sie Raymond auf eine Bahre geladen und hinausgebracht hatten, durften sie sich wieder rühren.
Die Jungen liefen herum und auch die Radios und Fernseher wurden wieder angestellt. James betrachtete das Blut an seinen Händen und sah
dann Dave an. Eigentlich erwartete er eine Art Rüffel.
»Na ja«, meinte Dave und hob lediglich eine Augenbraue. »Ich glaube, jetzt weiß jeder, dass wir da sind.«
15
Um zum Badezimmer zu gelangen, musste man das Gebiet der Latinos passieren. James und Dave gingen im Mittelgang zwischen den beiden Bettreihen entlang, wobei sie über ein Würfelspiel steigen mussten und die Leute höflich baten, ihnen Platz zu machen.
Ein dürrer Vierzehnjähriger hielt das Badezimmer tipptopp sauber. Alle nannten ihn nur Kümo als Kurzform von Kübel und Mopp. Im Gegenzug für seine Putzdienste passten die stärksten Latinos auf
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