Top Secret. Der Clan: Die neue Generation 1 (German Edition)
Bitte kommen Sie mit erhobenen Händen herunter!«
Ning hatte keine Lust, sich zu ergeben. Wenn die Polizisten sie erwischten und es schlecht lief, würde man sie in die strengste Reformschule stecken, die man finden konnte, und dort würde sie bleiben, bis sie achtzehn war. Sie schwang sich die orange Tasche über die Schulter, lief zum Fenster und riss es auf. Es war ein Meter tiefer zu springen als vom Zaun, und diesmal würde sie nicht auf dem weichen Rasen, sondern auf Kies landen.
»Machen Sie keine Schwierigkeiten, Mrs Fu!«, rief der Ältere. Es hörte sich an, als sei er oben an der Treppe angekommen.
Ning holte tief Luft und stieg mit einem Schwindelgefühl aufs Fensterbrett, aber noch bevor sie das andere Bein hinüberschwingen konnte, stand der junge Polizist in der Tür und richtete seine Waffe auf sie.
»Halt! Rühr dich nicht!«
Er war hübsch, kaum älter als zweiundzwanzig und sah genauso verängstigt aus, wie Ning sich fühlte. Sie sah auf den Kies hinunter.
»Wenn du springst, brichst du dir wahrscheinlich die Beine«, warnte er sie. »Und wenn nicht, dann schieße ich dir in den Rücken, wenn du wegläufst. Also zeig mir deine Hände und geh vom Fenster weg.«
9
Ning musste sich geschlagen geben und wandte sich mit erhobenen Händen zu dem Polizisten um. Vielleicht konnte sie ihm die Waffe aus der Hand schlagen, wenn sie nahe genug an ihn herankam, aber das war schwierig, und selbst wenn sie es schaffen sollte, hatte sein Partner bis dahin wahrscheinlich seine Waffe auf sie gerichtet.
»Ist sie allein?«, fragte der ältere Polizist.
»Bist nur du hier?«, fragte der andere Ning.
Ning zögerte erst, dann nickte sie. Doch ihr Zögern ließ den Polizisten an ihrer Antwort zweifeln.
»Das hier ist nicht gerade das Stadtzentrum«, meinte er. »Wie bist du hierhergekommen?«
»Ein Freund von mir wohnt eine Meile weiter. Sein Dad hat mich am Feld da hinten abgesetzt.«
Der andere Polizist war mittlerweile im Gang. Sein rotes Gesicht und der kurze Atem machten ihn zu einem guten Kandidaten für einen Herzinfarkt.
»Sie sagt, sie sei allein, aber ich glaube, wir sollten besser nachsehen«, rief der jüngere Polizist. Ning fragte sich, ob Ingrid den Mumm gehabt hatte, aus einem Fenster zu springen. »Ich rufe zur Sicherheit lieber Verstärkung.«
»Den Teufel wirst du tun«, hielt ihn der andere zurück. »Der Boss scheißt uns zusammen, weil wir sie haben hereinkommen lassen. Die Frau stellt keine Bedrohung dar, wahrscheinlich liegt sie irgendwo besoffen herum. Leg der jungen Dame Handschellen an, und dann hilf mir, die Mutter zu suchen.«
Der junge Polizist nahm die Handschellen von seinem Gürtel und warf sie vor Ning auf den Boden.
»Heb sie auf und leg sie dir um die Handgelenke!«
Ning bückte sich, aber als sie nach den Handschellen griff, erklang ein Schuss. Der jüngere Polizist kippte nach vorn. Blut sprühte ihr ins Gesicht und sie hechtete hinter ihr umgekipptes Bett und ging dort in Deckung.
Die nächsten beiden Schüsse trafen den älteren Polizisten und ließen ihn durch den Gang zur Treppe stürzen. Dann ertönte ein weiterer Schuss, diesmal so nah, dass Ning fast das Trommelfell platzte, als die Kugel dem jungen Polizisten durch den Kopf fuhr.
Die aufgewirbelten Federn ließen Ning fast husten. Ingrid sprang mit einer großen Automatikwaffe ins Zimmer.
»Wo hast du die denn her?«, schrie Ning über das Klingeln in ihren Ohren hinweg.
»Die war im Kinderzimmer bei dem Geld und den anderen Sachen, die wir brauchen«, erklärte Ingrid.
Es roch nach Schießpulver und den Exkrementen aus den zerrissenen Eingeweiden des jungen Polizisten. Ning sah zum ersten Mal den Tod aus nächster Nähe, aber was sie am meisten schockierte, war, wie kaltblütig Ingrid geschossen hatte. Der junge Polizist hatte eine Kugel in den Bauch und eine in den Kopf bekommen, während der andere im Gang mit einem Schuss ins Herz und einem durch die Stirn getötet worden war.
»Sie sind tot«, erkannte Ning wie gelähmt vor Schreck.
»Lebend nützen sie uns ja nichts, oder?«, gab Ingrid zurück.
»Wo hast du schießen gelernt?«
»Ich habe dir doch erzählt, dass ich Sanitäter bei der britischen Armee war, bevor ich deinen Vater kennengelernt habe.«
Ning hatte gehört, wie Ingrid über ihren Dienst in der britischen Armee gesprochen hatte, doch sie hatten es immer als einen Scherz abgetan: Es war, wie wenn man herausfindet, dass der dicke Onkel früher Marathonläufer war oder der Polizist
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