Top Secret. Der Clan: Die neue Generation 1 (German Edition)
in der Familie einmal Autos gestohlen hatte.
»Ich war ein beschissener Soldat und als Sanitäter eine Niete«, erklärte Ingrid. »Aber schießen konnte ich gut.«
Ning folgte ihr durch den Gang ins Kinderzimmer. Sie hatte den Wickeltisch und die Babyspielsachen immer deprimierend gefunden. Ingrid hatte vier Fehlgeburten gehabt, bevor die Fus Ning adoptierten, aber das Kinderzimmer blieb bestehen in der Hoffnung auf ein biologisches Wunder.
Doch jetzt erkannte Ning noch einen anderen Grund, die Wiege zu behalten. Bei der Suche war die Matratze auseinandergerissen worden, aber die Beamten hatten nicht den doppelten Boden entdeckt, der ein verborgenes Fach freigab, als Ingrid die hölzernen Beine abgeschraubt und ihn entfernt hatte.
Neben der Automatikwaffe, die Ingrid eben benutzt hatte, lagen noch eine kleinere Pistole, sechs Munitionsmagazine und ein Haufen Bündel aus in Folie gewickelten Yuan-, Euro-, US-Dollar-Scheinen und Goldbarren.
Das Vorhandensein dieses Verstecks ließ Ning auf einmal anders über ihre Familie denken. Als sie am Morgen aufgewacht war, hatte sie ihren Vater noch für einen schwer arbeitenden Geschäftsmann gehalten. Er war distanziert und gelegentlich ein wenig furchterregend, aber auf keinen Fall jemand, der Geld und Waffen in einem Kinderzimmer versteckte.
»Sag mir jetzt, was hier los ist«, rief Ning. »Ich will es sofort wissen!«
Ingrid sah sie gequält an.
»Bei meinem Leben, Liebes, ich werde es dir erzählen, aber wir können nicht hierbleiben.«
Sie nahm einen Rollkoffer aus einem der Schränke und steckte Geld und Munition hinein.
»In meinem Schrank ist ein rotes Erste-Hilfe-Set«, sagte Ingrid. »Hol es, dann wasch dir das Blut aus dem Gesicht. Aber beeil dich!«
Ning gehorchte. Ihr wurde übel, während sie ein Handtuch anfeuchtete und sich damit säuberte. Zittrig zog sie das Trikot aus und schlüpfte in Jeans, Kapuzenshirt und Turnschuhe.
Sie traf sich mit Ingrid an der Tür zum Hauswirtschaftsraum und nahm an, dass sie zum BMW zurückgehen würden.
»Es ist reine Zeitverschwendung, wieder so weit zu laufen«, meinte Ingrid. »Sie brauchen eine Weile, bevor sie merken, was hier passiert ist. Wir fahren mit dem Polizeiwagen in die Stadt zurück. Da wir gegen den Feierabendverkehr fahren, werden wir nicht allzu lange brauchen.«
»Und dann?«, fragte Ning und setzte sich neben Ingrid auf den Beifahrersitz.
Als sie sich angeschnallt hatten und losfuhren, gab Ingrid Ning ihr Handy.
»Ruf Wei an und sag ihm, dass ich das Geld habe«, befahl sie.
Die Villa hatte eine lange Auffahrt, und die Tore an ihrem Ende öffneten sich automatisch, als sich das Auto ihnen näherte. Nings Herz klopfte ohrenbetäubend, aber das Klingeln von dem Knall hatte aufgehört, und sie fasste etwas Mut, als sie erfuhr, dass Wei an ihrem Fluchtplan beteiligt war. Er war vernünftiger und weniger impulsiv als Ingrid.
»Ning, bist du das?«, fragte Wei freundlich, nachdem er sich gemeldet hatte. »Wie geht es dir?«
»Nicht sehr gut«, gestand Ning.
Der Wagen stotterte, und fast hätte Ingrid ihn abgewürgt, weil sie anstatt in den dritten in den fünften Gang schaltete.
»Verdammte Kiste!«, schrie sie.
»Was ist los?«, fragte Wei.
»Ingrid hat mich gebeten, Sie anzurufen und zu sagen, dass sie das Geld hat«, erklärte Ning und bemühte sich, ihre Stimme nicht zittern zu lassen.
»Gut«, antwortete Wei. »Ich habe für euch ein Zimmer im Pink Bird Motel gebucht. Es ist zwar schäbig, aber abgelegen und jeder Taxifahrer kennt den Weg dorthin. Ihr seid unter dem Namen Gong eingebucht und das Zimmer wurde im Voraus bar bezahlt.«
»Pink Bird, Name Gong, verstanden«, wiederholte Ning.
»Geht nicht zur Rezeption. Es ist Zimmer 205 im zweiten Stock. Die Tür ist offen und der Schlüssel liegt in einem Handtuch im Badezimmer. Es ist besser, wenn ihr möglichst unsichtbar bleibt, aber ihr müsst ja auch etwas essen. Es gibt keinen Zimmerservice, aber auf der anderen Seite des Parkplatzes sind ein Supermarkt und ein paar Cafés. Innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden wird jemand mit euch Kontakt aufnehmen.«
»Kommen Sie uns besuchen?«, fragte Ning.
»Das geht nicht«, erklärte Wei entschlossen. »Ingrid versteht das und du solltest das auch. Ihr müsst jeden unnötigen Kontakt vermeiden. Das schließt auch Anrufe bei Schulfreunden oder dem Jungen, auf den du stehst, ein. Die Polizei kann eure Position anhand eures Telefonsignals orten. Also seht zu, dass ihr eure Telefone
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