Topas
dachte er. Wer entgeht ihm? Würde
er selbst im Gefängnis eines fremden Landes sterben oder in
einer Gosse, das Gesicht von einer Kugel zerschmettert? Oder
würde am Ende die tiefe Schwermut stehen, die so viele seiner
Kollegen dazu brachte, ihr Leben durch eigene Hand
auszulöschen? Oder würde ein plötzlicher starker
Schmerz in der Brust den Tod bringen?
Wie nannte es Dr.
Kaplan? Narkolepsie …
»Sorgen Sie
für Madame Kuznetow und ihre Tochter! Geben Sie ihnen ein
Zimmer hier im Krankenhaus! Sagen Sie ihr, wir werden tun, was in
unserer Macht steht«, sagte Nordstrom. »Ich
möchte, daß er ständig von sechs Mann bewacht wird,
und informieren Sie mich bitte sofort, wenn eine Änderung in
seinem Zustand eintritt!«
»Ja,
Sir.«
Andre spürte
nicht, daß Michael ihm auf die Schulter tippte. »Wir
sollten gehen«, sagte Michael. Andre kam zu sich. Sie nickten
den Frauen zu und wandten sich zum Gehen.
»Warten
Sie!« sagte McKittrick.
Boris Kuznetow
öffnete mühsam die Augen. Er starrte sie an und hob
schwach die Hand.
»Sein Zustand
erlaubt ihm nicht, zu sprechen«, erklärte der Arzt. Aber
Kuznetow bestand darauf. »Nur eine Sekunde«, sagte der
Arzt.
Mit
äußerster Anstrengung machte Kuznetow deutlich,
daß er mit Andre sprechen wolle. Andre kniete neben dem Bett
nieder. Das Sauerstoffzelt wurde abgenommen. Er legte sein Ohr
dicht an die Lippen des Russen.
»Devereaux
…»
«Ja?«
»Sie dürfen
Paris nicht informieren.»
«Warum
nicht?«
»Es besteht
große Gefahr - für Frankreich.«
»Was für
eine Gefahr?«
»Topas - Topas
…«
Kuznetows Hand fiel
herab. Er schloß die Augen, erschöpft von der
Anstrengung.
Als sie den langen
Korridor entlanggingen, fragte Nordstrom: »Was sagte
er?«
»Es ergab keinen
Sinn«, antwortete Andre. »Überhaupt keinen
Sinn.«
14
Nicole saß
aufrecht in Andres Bett. Der Fehdehandschuh war geworfen.
Robespierre hatte sein Kinn auf den Schoß seiner Herrin
gelegt, und seine Augen folgten Andre mit Furcht und
Mißtrauen, während er sich auszog. Nicole hatte zuviel
getrunken, eine Angewohnheit, die sie von den Amerikanerinnen
angenommen hatte. Amerikanerinnen trinken zuviel, schimpfte er
leise vor sich hin. Sie müssen es, um die Tabus
hinwegzuspülen, die ihnen der Puritanismus auferlegt. Liebe
ist etwas Schlechtes. Sex ist böse. Also ertränkt man die
Hemmungen, um das tun zu können, was Europäerinnen ganz
natürlich und ohne jedes Schuldgefühl tun. Früher
wurde Nicole sehr liebebedürftig, wenn sie zuviel Wein
getrunken hatte. Jetzt wurde sie meistens böse und
angriffslustig. Schmale Oberlippe, gefletschte Zähne. Andre
zog sich absichtlich langsam aus und ließ Nicole schmoren,
putzte sich besonders lange die Zähne und ließ das
Wasser aus voll aufgedrehtem Hahn laufen.
»Michele ist
heute abend nach New York zurückgeflogen«,
eröffnete Nicole das Gefecht.
»Weshalb?»
«Sie arbeitet
fürs Examen.«
Wie logisch Frauen
doch sind! Michele hatte noch nie in ihrem Leben für ein
Examen gearbeitet, und wenn es aus irgendeinem unerfindlichen Grund
notwendig sein sollte, hätte sie auch ein oder zwei
Bücher nach Washington mitbringen können.
»Irgendwelche
anderen Gründe?« konnte sich Andre nicht verkneifen zu
fragen.
»Sie hätte
heute abend deinen Zuspruch gebraucht.«
»Willst du mir
vielleicht sagen, warum?«
»Sie hat sich
mit Tucker gestritten.«
»Ich wußte
gar nicht, daß Tucker streiten kann. Und ich verstehe immer
noch nicht, warum sie nach New York zurückgeflogen
ist.«
»Weil sie sich
mit Tucker gestritten hat.«
»Ihre Logik und
deine Logik stimmen absolut überein. Wenn sie Streit mit
Tucker hatte, ist das kein Grund für sie, nach New York
zurückzufliegen, und kein Grund für dich, einen Streit
mit mir anzufangen.«
»Sie hätte
deinen Zuspruch gebraucht.«
»Warum ist sie
dann nicht hiergeblieben?«
»Was hätte
das genützt? Du bist nie hier, wenn dich jemand braucht. Es
ist auch schon einige Male vorgekommen, mein Lieber,
daß ich deinen Zuspruch gebraucht
hätte.«
»Ich gebe zu,
ich bin ein schlechter Ehemann und ein schlechter
Vater.«
»Das hat niemand
gesagt.«
»Herrgott noch
mal, was glaubst du denn, wo ich heute abend war?«
Robespierre
verließ das Zimmer.
»Ist es nicht
merkwürdig, daß Molly Spearman einige Minuten nach dir
wegging? War es nicht günstig, daß ich bleiben
mußte, bis auch der letzte gegangen war?«
»O mein Gott,
Weib! Halt doch bitte den Mund!«
»Hast du dich
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