Topkapi
ein heißer Tag war, sondern vor allem weil ich verwirrt war. Ich hatte erwartet, daß Fischer mich abholen würde. Ich hatte erwartet, daß ich geradewegs in die Villa fahren und ein Zimmer zugewiesen bekäme und vor allem daß ich einen Augenblick Zeit gehabt hätte, mich zu orientieren, eine Chance, nachzudenken und neu zu planen. Statt dessen saß ich jetzt auf dem Platz, auf dem Miss Lipp noch vor ein paar Minuten gesessen hatte, und roch ihr Parfum. Meine Hand zitterte ein wenig, als ich den Zündschlüssel ins Schloß steckte, und ich fing an zu sprechen, um meine Nervosität zu verbergen.
»Mr. Harper kommt nicht mit, Madam?«
»Er hat geschäftlich zu tun.« Sie zündete sich eine Zigarette an. »Und noch etwas, Arthur«, fuhr sie fort, »nennen Sie mich nicht Madam. Mein Name ist Lipp. So, und jetzt erzählen Sie mir, was Sie mir an Sehenswürdigkeiten bieten können.«
»Sind Sie zum erstenmal in der Türkei?«
»Zum erstenmal wieder seit langer Zeit. Von früher her erinnere ich mich nur an Moscheen. Ich glaube, Moscheen will ich keine mehr sehen.«
»Aber mit Istanbul möchten Sie gern anfangen?«
»O ja.«
»Haben Sie das Serail schon gesehen?«
»Ist das der alte Palast, wo der Sultan seinen Harem hatte?«
»Genau.« Ich schmunzelte innerlich. Als ich früher in Istanbul Führer war, war es das gleiche gewesen. Alle Touristinnen hatten sich für den Harem interessiert. Sie war also auch nicht anders.
»Gut«, sagte sie, »sehen wir uns das Serail an.«
Langsam bekam ich mein inneres Gleichgewicht wieder.
»Wenn ich einen Vorschlag machen darf …«
»Bitte.«
»Das Serail wird noch nicht offen sein. Ich würde vorschlagen, daß ich Sie zuerst zum berühmten Pierre-Loti-Café fahre, das auf einem Hügel vor der Stadt liegt. Sie können in reizvoller Umgebung etwas essen, und ich würde Sie anschließend zum Serail fahren.«
»Bis wann wären wir dann dort?«
»Wir können kurz nach ein Uhr dort sein.«
»Okay, aber es sollte nicht später werden.«
Das kam mir zwar komisch vor, aber ich achtete nicht darauf. Manchmal gerät man an Touristen, die alles nach der Uhr machen wollen. Ich hatte sie nur nicht so eingeschätzt.
Ich schaltete den Motor ein und fuhr die Küstenstraße zurück. Ich suchte nach dem Peugeot, aber er war heute nicht da. Dafür ein grauer Opel, in dem drei Mann saßen. Als wir zur alten Festung Rumeli Hissari kamen, hielt ich an und erzählte ihr von der Blockade von Konstantinopel durch Sultan Mehmet Fatih im Jahr 1453 und wie er eine schwere Kette über den Bosporus gespannt hatte, um die Stadt abzuschneiden. Ich erzählte ihr nicht, daß man zu Fuß zum Schloß hinaufgehen konnte, weil ich nicht scharf darauf war, die vielen kleinen Wege und Treppen hinaufzusteigen.
Nach einer Weile war es mir ziemlich klargeworden, daß sie überhaupt nicht sehr interessiert war an Dingen, die ich normalerweise Touristen zeigte. So kam es mir wenigstens vor. Ich glaube nicht, daß sie sich langweilte, aber wenn ich ihr etwas zeigte, nickte sie nur. Sie stellte keine Fragen.
Anders wurde es im Café. Ich mußte mich draußen zu ihr setzen an einen Tisch unter einem Baum und Raki für uns bestellen; dann stellte sie dutzendweise Fragen, aber nicht über Pierre Loti, den türkophilen Franzosen, sondern über das Serail.
Ich erklärte, so gut ich konnte. Für die meisten Leute bedeutet das Wort »Palast« ein einzelnes, sehr großes Gebäude, das für einen Herrscher bestimmt ist. Gewöhnlich stehen zwar noch ein paar kleinere Gebäude darum herum, aber das große Gebäude ist der Palast. Obwohl das Wort »Serail« Palast bedeutet, ist es kein Palast im herkömmlichen Sinn. Es ist ein ovales, von einer Mauer umgebenes Areal von etwa drei Kilometer Umfang auf einem Hügel über der Pforte zum Bosporus; eine Stadt in einer Stadt. Ursprünglich, oder zumindest von der Herrschaft Suleimans des Prächtigen an bis Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, wohnte und arbeitete hier die ganze Regierung: Minister, hohe Beamte und der regierende Sultan. Innerhalb dieser Mauern befanden sich die Palastgarde, eine Kadettenschule und der Harem des Sultans. Es lebten gewöhnlich über fünftausend Menschen hier, und es wurde dauernd gebaut. Einer der Gründe hierfür lag in einer Sitte der Ottomanen. Wenn ein neuer Sultan auf den Thron kam, erbte er natürlich alle Reichtümer und allen Besitz, die sein Vater angehäuft hatte; aber er konnte sich des an die Person gebundenen Eigentums nicht für
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