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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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sie diesen Bindezauber über mich geworfen hatte. Ich erinnere mich überhaupt nicht mehr, was im Haus deiner Eltern zwischen ihr und mir vorgefallen ist. Diese Wochen sind ausgelöscht, ausradiert. Und dabei wünschte ich, ich könnte mich erinnern – wie sehr ich mir das wünsche!« Er ballte die unverletzte Hand zur Faust und wirkte ungewöhnlich aufgebracht. Ghost quittierte die Stimmung seines Reiters mit angelegten Ohren.
    Ravenna zog die Augenbrauen hoch. »Du nimmst meine Schwester in Schutz? Jetzt mache ich mir aber wirklich Sorgen.«
    Diesmal ging Lucian nicht auf ihren Scherz ein. »Wir müssen sie von Beliar und meinem Vater wegholen. Verstehst du? Und zwar bevor das Kind auf die Welt kommt.«
    Ravenna ergriff ein äußerst ungutes Gefühl – so ein Drücken in der Magengegend. Ein Gemisch aus Zorn, Schuld und einer unangenehmen Vorahnung, die sie nicht richtig deuten konnte.
    »Wir müssen die Sieben finden und ihnen erzählen, was wir wissen«, meinte sie. »Beliar wird die Geschichte neu schreiben, wenn wir zulassen, dass er ans Ziel gelangt. Denk nur an den Eiffelturm! Fünf Beine!« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung, was er noch so alles vorhat. Aber ich glaube kaum, dass wir in seiner Version der Welt noch eine Zukunft haben.«
    »Dann lass uns reiten«, schlug Lucian vor. »Je eher wir aus diesem Wald herauskommen, desto besser stehen unsere Chancen, die kommende Nacht zu überleben.«
    Sie ließen die Pferde angaloppieren. Das Tal verbreiterte sich, während sich der dichte, dunkle Wald auf die Hänge zurückzog. Als Ravenna schließlich über die Schulter zurückblickte, sah sie, dass die Filmcrew mehrere Pferdelängen zurückblieb. Drei dunkle Punkte, die sich allmählich bergab bewegten: die beiden Reiter und das Handpferd.
    »Langsamer«, keuchte sie. »Wir müssen langsamer reiten. Sonst verlieren wir sie.«
    Lucian zügelte den Hengst. Mit einer ungeduldigen Armbewegung bedeutete er den beiden Filmemachern, sich zu beeilen. Die verletzte Hand presste er unter dem Mantel an den Körper.
    Es war offensichtlich, dass er Schmerzen litt. Ravenna verwünschte sich insgeheim, weil sie ihm kaum helfen konnte. Aus einem Stück Rinde und einem Stoffstreifen von ihrem Kleid hatte sie notdürftig eine Schiene angefertigt. Mehr konnte sie nicht für ihn tun. Angesichts dieser Umstände wäre es wesentlich besser gewesen, der Jäger Diego hätte sie begleitet statt zweier unbeholfener Hanswurste mit einer Kamera.
    Als ihre Begleiter so nah waren, dass sie den Hufschlag hörten, wendeten sie die Pferde. Sobald das Gelände flacher wurde und das Reiten einfacher war, trieben sie die Pferde wieder in eine schnellere Gangart. Trotzdem wurde es Nachmittag, ehe sie auf eine Brücke stießen.
    Lucian drosselte das Tempo und ließ den Hengst anhalten. Mit einem Ruck forderte Ghost mehr Zügelfreiheit. Der Atem der Tiere ging in Stößen. Die Sonne war inzwischen hinter einem Berggipfel verschwunden. Kalte Schatten lagen zwischen den Bäumen.
    Lucian schaute sich um. »Reite du hinauf auf den Damm und wirf einen Blick auf die andere Seite, während ich auf unsere beiden Quälgeister warte«, schlug er vor. »Aber sei vorsichtig.«
    Ravenna nickte. Mit einem aufmunternden Schnalzen trieb sie ihre Stute an. Willow sprang auf den Damm. Die Brücke bestand aus Stein. Sie war nicht breiter als die Fahrspur eines Fuhrwerks.
    »Na bitte. Da ist ja doch ein Weg«, murmelte Ravenna. Nach den Maßstäben des Mittelalters war das sogar eine Schnellstraße. Der Schnee war zertrampelt und von Hufspuren übersät. Fußgänger und Reiter in großer Zahl waren hier entlanggekommen. Auf der anderen Seite war der Wald dicht und still, gesäumt von einem Gewirr aus Brombeerranken und Totholz, kahlen Holundersträuchern und Vogelbeere.
    Ravenna ritt ein Stück über die Brücke und wendete die Stute dann. »Alles in Ordnung«, rief sie zu Lucian und ihren Begleitern hinunter. »Es sieht nicht nach einem Hinterhalt aus.«
    Der junge Ritter schnitt eine Grimasse und bedeutete ihr, leise zu sein. »Komm wieder herunter«, verlangte er. »Wir reiten am Bach entlang. Gesetzlose halten sich abseits solcher Wege.«
    »Komm du lieber herauf«, erwiderte Ravenna patzig. Sie hatte genug davon, im unebenen Gelände durchgeschüttelt zu werden. »Diese Straße führt uns bestimmt aus dem Wald heraus. Und zwar, bevor es dunkel wird.«
    »Still!«, zischte Lucian jedoch. Er ließ die Zügel los. Mit der linken Hand griff er

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