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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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unwillkürlich nach dem Schwert, aber er zog die Waffe nicht. Angespannt starrte er auf die Lichtung.
    »Was ist?«, zischte Ravenna. »Was ist denn los?« Die Filmemacher tauschten einen Blick. Sie hatten die Kamera seit einer Weile ausgeschaltet und verstaut. Nun tastete Thierry wieder nach seinem Rucksack. Umständlich zog er am Reißverschluss.
    Ohne eine Erklärung trieb Lucian Ghost neben Ravenna auf den Damm. »Wir nehmen die Straße«, teilte er ihr mit und zog den Kopf des Schimmelhengstes herum.
    Mit glühendem Gesicht trabte sie hinter ihm über die Brücke. »Die Straße. Na bitte. Täusche ich mich oder sagte ich das nicht bereits?«, knurrte sie.
    »Wir haben die Wölfe nicht abgehängt«, teilte Lucian ihr mit. Er sprach so leise, dass ihre Begleiter ihn nicht verstehen konnten. »Wenn es Wölfe sind. Mein Vater hat Kreaturen in diesen Wäldern ausgesetzt, denen du ganz sicher nicht begegnen willst. Allein der Anblick raubt einem Menschen die Seelenruhe.«
    Ravenna zog unwillkürlich die Schultern hoch. Mit angehaltenem Atem spähte sie unter die Bäume. Sah sie da Schatten, die mit ihnen Schritt hielten? Oder bildete sie sich das ein?
    Die Kameraleute ritten diesmal dicht hinter ihnen. Der untersetzte Tontechniker hatte tatsächlich den Nerv, sich wegen der fehlenden Mittagspause zu beschweren.
    »Wir müssen zusehen, dass wir dieses Tal verlassen«, keuchte Ravenna im Auf und Ab der Trabschritte. »Merkt ihr denn nicht, dass die Sonne sinkt? Diese Wälder sind kein Bühnenbild. Kapiert?«
    »Mein Gott, ihr zwei passt wirklich ausgezeichnet zueinander«, maulte Claude. »Die Hexe ist genauso umgänglich wie ihr Ritter.«
    Er hatte die Kamera aus dem Rucksack seines Kollegen geholt. Nun drückte er auf verschiedene Knöpfe und fummelte an den Einstellringen des Teleobjektivs herum. »Wieso ziehen wir auf dieser Straße weiter?«, fragte er und reckte ihr das Mikrofon entgegen. Es war an der Kamera befestigt. »Was liegt am anderen Ende des Waldes?«
    »Wissen wir nicht«, erklärte Lucian. »Aber je schneller wir reiten, desto eher finden wir es heraus.«
    Er ließ Ghost wieder in Galopp fallen, schlug ein gemäßigtes Tempo an. Claude griff hastig nach der Mähne seines Pferdes, hielt sich an den dichten Strähnen fest. Thierry kippte nach hinten und fluchte. Mit dem linken Arm ruderte er in der Luft, als die Hufe der Tiere immer schneller über den Boden flogen. Mit der anderen Hand suchte er vergeblich nach dem Sattelriemen.
    Dann ging alles sehr schnell. Thierrys Fuß rutschte aus dem Steigbügel. Zwei, drei Galoppsprünge – dann neigte er sich zur Seite und fiel trotz Ravennas helfend ausgestreckter Hand vom Pferd. Sofort legte der Rappe an Geschwindigkeit zu und zerrte den Kameramann über den zertrampelten Schnee.
    »Er hängt fest! Verdammt, er hängt mit dem Fuß im Steigbügel!«, schrie sie.
    Sie trieb Willow vorwärts, bis sie sich neben dem Kopf des Rappen befand. Beherzt griff sie nach den wehenden Zügeln und zog den Kopf des Pferdes zu sich. Der Schwarze wurde langsamer und hielt schließlich schnaubend an.
    Sofort sprang Ravenna aus dem Sattel. Von einem Pferd mitgeschleift zu werden war so ziemlich das Schlimmste, das einem Reiter passieren konnte: Stock und Stein schürften einem die Haut ab, und die wirbelnden Hufe trafen dicht neben dem Kopf auf den Boden – wenn man Glück hatte.
    »Thierry! Thierry! Hören Sie mich?« Sie beugte sich über den Gestürzten. Der Kameramann lag mit geschlossenen Augen im Schnee und schnaufte schwer. Sie konnte nicht erkennen, ob er verletzt war. Sein Partner hielt die Szene mit der Videokamera fest.
    »Ein Reiter am Boden. Ravenna bemüht sich um ihn, aber bekommt sie ihn auch wieder auf die Beine?«, kommentierte Claude die Aufnahme.
    »Thierry, verdammt! Kommen Sie zu sich!«, rief sie und klopfte ihm auf die Wangen. »Wir müssen weiter!«
    Lucian tauchte unvermittelt hinter ihr auf, ein weißer Reiter auf einem weißen Pferd, umweht von Nebelfetzen, die aus dem Bach aufstiegen. »Steig in den Sattel, Ravenna. Sofort!«, befahl er. Sein Tonfall duldete keine Widerrede. In der linken Hand hielt er die abgebrochene Schwertklinge, einen kurzen, schiefen Stumpen, der wie ein Dolch wirkte. »Steig auf!«
    Und dann hörte sie es: Wolfsgesang.
    Das Rudel befand sich auf den Hängen oberhalb der Straße – unmöglich zu sagen, von welcher Seite es sich näherte. Das Jaulen vervielfältigte sich im Tal. Claude schwenkte die Kamera. Der Sucher fing

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