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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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Fußtritt schleuderte die Bestie ein Stück zur Seite. Lucian folgte dem zähnefletschenden Tier und benutzte das abgebrochene Schwert, um zuzustoßen. Dunkles Blut wallte empor und verfärbte den Schnee. Doch an diesen Stichen starb der Aaswolf nicht – falls er überhaupt sterben konnte.
    Ravenna packte den Ast, schwang ihn gegen das Ungeheuer und befahl: »Fyr!« Das Holz hatte jedoch zu lange unter dem Schnee gelegen. Es zischte und qualmte, brannte aber nicht.
    »Weg da! Aus dem Weg!«, fuhr Lucian sie an, als der Kampf plötzlich in ihre Richtung wogte. Er rutschte auf dem blutigen Schnee und traf sie mit dem Ellenbogen unabsichtlich, aber hart an den Rippen. Ravenna keuchte. Wenn er das Schwert in der Hand hielt, wurde er zu einem Fremden. Ein Unbekannter mit zornigen Augen schwang die zerbrochene Klinge, ein Krieger, dem sich nichts und niemand in den Weg stellen durfte. Es gab Augenblicke, da glich Lucian seinem Vater so sehr, dass er ihr Angst einjagte.
    Mit langen Sätzen verfolgte Lucian den Aaswolf über die Lichtung. Da glühte am Hang plötzlich ein weiteres Licht auf. Und noch eines. Immer mehr glimmende Punkte erschienen, bis es aussah, als wüchsen aus der bewaldeten Bergflanke Dutzende phosphorgrüner Augen hervor.
    »Gib Acht!«, schrie Ravenna, während sie den Ast fortwarf und hinter Lucian und dem Wolf herrannte. »Im Unterholz sind noch mehr Skavenger!«
    Mit einem einzigen Hieb schlug Lucian dem Aaswolf einen Kopf ab und stellte den Fuß auf den fortrollenden Schädel. Blitzschnell drehte er den Schwertgriff und stieß die kurze Klinge in das wütende Auge des Angreifers. Der Skavenger jaulte auf, dann erschlaffte der Körper und lag still. Das grünliche Flackern erlosch. Auch das zweite Auge nahm die Farbe kalter Asche an.
    Auf dem Hang ertönte ein vielstimmiges Knurren. Ein Aaswolf sprang über den Bach, gefolgt von einem halben Dutzend Artgenossen. Zähnefletschend kreisten die Tiere Lucian ein, während die Pferde oben auf der Straße wieherten. Hufe trampelten durch den Schnee.
    Ravenna drehte den Kopf. Geduckte Schatten huschten über den Damm. Auch hinter den Pferden glühten Wolfsaugen auf. Zusammen mit dem roten Licht der Kamera sah es gespenstisch aus. Es sind zu viele, dachte sie, viel zu viele todbringende Bestien. Mitten in dem schattigen Tal hatte Velascos Fluch sie eingeholt.
    Lucian senkte das Schwert. Seine Schultern dampften. Kalt und gemessen ließ er den Blick über die Gegner gleiten, die durch sein Verhalten verunsichert innehielten – Aaswölfe, so zahlreich, dass das Unterholz zu allen Seiten raschelte. Doch Ravenna wusste: Die Verblüffung der Skavenger würde nur Sekundenbruchteile anhalten.
    Plötzlich warf Lucian das Schwert fort. Er befreite die rechte Hand aus dem Umhang und griff in die Luft. Seine Finger umfassten eine unsichtbare Kugel, eine magische Sphäre, die er mit erbarmungsloser Gewalt zusammenpresste.
    Plötzlich war es, als lege sich ein eiserner Reif um Ravennas Stirn. Ein fremder Wille quetschte ihren Schädel zusammen. Pochende Schmerzen jagten durch ihr Gehirn, und ihre Gedanken schienen sich zu verflüssigen. Sie torkelte über die Lichtung und hatte das Gefühl, in der nächsten Sekunde ohnmächtig zu werden.
    Die Aaswölfe jaulten auf. Geduckt zogen sie sich bis zum Bach zurück. Sträubten das Fell und knurrten. Dann machten sie kehrt und rannten unter den Bäumen davon wie ein Rudel Streuner, dem man Knallkörper zwischen die Pfoten geworfen hatte. Nur die Abdrücke ihrer riesigen Tatzen blieben zurück. Und ein toter Wolf mit zwei Köpfen.
    Mit weichen Knien glitt Ravenna neben dem Bachbett zu Boden. Während sie im Schnee kniete und darauf wartete, dass das Zittern und die Übelkeit nachließen, ging Lucian auf der Lichtung umher. Er hob seine Waffe auf und prüfte, ob der erschlagene Aaswolf auch wirklich tot war. Erst danach steckte er die Klinge wieder zu den übrigen Bruchstücken in die Scheide. Mit einer Handvoll Schnee rieb er Blut und Geifer von seiner Rüstung. Danach gab es nichts mehr zu tun, was ihn daran hinderte, sich zu ihr umzudrehen.
    Sie erschrak, als sie Lucians Gesicht sah. Die Augen versanken im Schatten unter den wütenden Brauen. Zorn, Schmerz und Anstrengung gruben tiefe Linien in seine Züge.
    »Acencræft«, stieß er hervor. »Ein Fluch, vom Vater auf den Sohn vererbt. Das ist ein Talent, das ich dem Hexer von Carcassonne verdanke. Ich kämpfe dagegen an, solange ich denken kann. Bis ich diese Gabe wieder

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