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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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genähte Ledersäckchen in verschiedenen Größen. An manchen dieser Säcke waren lange Schnüre befestigt, an anderen ein Paar Flügel angenäht und wieder andere waren mit Kaninchenfell überzogen.
    Ravenna wusste, was das war. Mit diesen Federspielen wurden die Falken zur Jagd abgerichtet. Sie dämpfte ihre Schritte, als sie zu den Falken ging.
    »Ihr Schönen. Ihr Schönen«, flüsterte sie, während sie die Vögel von Nahem genauer betrachtete. Sie hatte viel über die Falknerei gehört, aber noch nie einen solchen Ort betreten.
    Mit auf dem Rücken verschränkten Händen ging sie an den Stützen entlang. Das weiß und braun gesprenkelte Brustgefieder der Falken plusterte sich auf. Die Schwingen des Adlers glänzten golden, die Krallen waren schwarz und kräftig. Da die Vögel unter den Hauben nichts sehen konnten, verhielten sie sich ruhig, drehten die Köpfe aber in ihre Richtung. Die Beine waren mit weichen Lederriemen gefesselt. Bis auf ein gelegentliches Tschilpen aus den Käfigen und das Klingeln der Glöckchen an den Fußfesseln war es still.
    »Da bist du ja endlich.«
    Vor Schreck machte Ravenna einen Satz. Ihre Bewegung löste wildes Flattern aus. Käfige fingen an zu schaukeln. Daunen wirbelten durch die Luft.
    Elinor stand hinter ihr, die Erzfeindin der Sieben.
    Ravenna wich unwillkürlich vor der schwarzen Hexe zurück. Seit ihrer letzten Begegnung war die Marquise noch magerer geworden. Elinor war noch immer schön und hielt sich kerzengerade, doch an den Schläfen spannte sich die Haut so straff, dass die Adern durchschimmerten. Ihre Augen wirkten hungrig, ein Eindruck, der durch die turbanartige Kopfbedeckung noch verstärkt wurde. Ein Schleier war unter ihrem Kinn befestigt. Sie trug schmutzige Pluderhosen und ein kaftanartiges Oberteil. Die schwarzen Kleider wirkten abgetragen. Außerdem war sie mit einem stabilen Gürtel und einem Lederhandschuh mit breiter Stulpe ausgerüstet.
    Auf ihrem Handgelenk saß ein weißer Vogel. Im ersten Augenblick glaubte Ravenna, es handle sich um eine Möwe. Dann erkannte sie, dass es ein Rabe war. Ein Albino-Rabe mit roten Augen, die wie durchsichtige Glasperlen glänzten. Er sträubte die Federn am Hals und starrte sie an.
    Langsam ließ sie den Atem entweichen. Eine schwarze Hexe und ein weißer Rabe. Das war eine Zehn. Das war eindeutig eine Zehn auf der nach oben offenen Skala des Unglücks.
    »Wie lange bist du schon hier?«, fragte Ravenna. Ihre Stimme klang belegt. Gebannt verfolgte sie, wie die Marquise das Brustgefieder des Albinos streichelte. Der Finger folgte der Wuchsrichtung der Federn, niemals umgekehrt. Elinors Nägel waren dreckig und so tief eingerissen, dass Ravenna bei ihrem Anblick die Fäuste ballte.
    »Wie lange hockst du schon hier oben und spionierst uns nach?«, wiederholte sie.
    »Lange genug, um den Aufruhr zu verfolgen, den ihr verursacht habt, du und dein Ritter.«
    Elinor nickte zum Fenster hin. Es war mit einem kunstvoll ausgestanzten Gitter verschlossen.
    »Ich habe das Rennen von hier oben beobachtet. Ein dummes kleines Mädchen auf einem großen Pferd. Du kannst von Glück sagen, dass du nicht unter den Steinbrocken geraten bist.«
    »Du hättest uns warnen können«, gab Ravenna in scharfem Tonfall zurück. »Dann wäre Constantin vielleicht noch am Leben.«
    Die schwarze Hexe antwortete nicht. Sie ging zu den Falken und prüfte, ob die Geschüh genannten Lederfesseln nicht auf der Haut der Vögel scheuerten. Hie und da füllte sie Wasser in einen Napf.
    »Glaubst du, das hätte ich nicht versucht?«, murmelte sie schließlich. »Aber du warst so sehr mit dir selbst beschäftigt. Wie hättest du da meinen Boten wahrnehmen sollen?«
    Ravenna spürte, wie ihre Schultern herabsanken. Elinor hatte versucht, sie zu warnen? Ratlos betrachtete sie den weißen Raben, der auf dem Arm der Hexe saß. Der Albino starrte sie an. Eine Krähe, die nach Norden flog. Der helle Schatten, der die Pferde erschreckt hatte, kurz bevor Velascos Männer angriffen. War das der Bote gewesen?
    »Der Fluch war auf mich gezielt«, sagte sie leise. »Nicht wahr? Ich sollte sterben. Ich, nicht Constantin. Velasco wollte mein Herz in Stein verwandeln.«
    Elinor nickte, während sie den Käfig wieder verschloss. »O ja, das wollte er. Denn nur dann hättest du aufgehört, seinen Sohn zu lieben.«
    Ravenna fasste sich an den Oberarmen. Plötzlich fröstelte sie. In der Falknerei brannte kein Feuer. Die Luft im Turm war kalt und stank nach Vogelkot.
    »Was

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