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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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den Fingerspitzen, so wie sie die anderen Hexen einen Eid hatte ablegen sehen.
    »Ich schwöre es. Beim Namen des Mediums – ich schwöre, dass ich dich zur Göttin der Hexen begleiten werde.«
    Elinor runzelte die Stirn. »Ein Medium? Was ist das?«
    »Jemand Wichtiges. In meiner Welt«, erklärte Ravenna schnell. »Du kannst Beliar fragen, wenn du mir nicht glaubst.«
    Der Punkt war: Sie hatte den Namen des Mediums nie erfahren. Das Mädchen mit der riesigen Brille und dem Ouija-Brett – sie hatte keine Ahnung, wie die Kleine hieß. Deshalb, so hoffte sie, war der Eid unwirksam und die Strafe für den erlogenen Schwur würde ausbleiben. Sie war sich ohnehin nicht ganz sicher, ob das Medium wirklich ein echtes Medium war. Alles nur Show, dachte sie, während sie Elinor fixierte.
    Die Marquise vom Hœnkungsberg lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Ich durchschaue dich«, warnte sie. »Du bist wie ein offenes Buch, Ravenna. Als Erstes solltest du lernen zu lügen, wenn du eine schwarze Hexe werden willst. Nein, schwöre mir … schwöre mir beim Leben deiner Schwester, dass du mich eines Tages zu Morrigan bringst.«
    Sie spürte ihre Herzschläge kommen und gehen, rhythmisch wie im Inneren einer Uhr. »Das kann ich nicht«, stieß Ravenna hervor. »Und das weißt du genau.«
    Elinor studierte sie. »Nun, das war wenigstens die Wahrheit«, murmelte sie. Sie ließ die Arme sinken und stand auf. »Dann schwöre mir bei deinem Blut, dass du es tun wirst.«
    Als sie auf Ravenna zuging, zog sie einen Dolch mit dreieckiger Klinge. Ein Athame. »Ich muss Morrigan treffen. Begreifst du das nicht? Wir leben doch nur für diesen kurzen Augenblick, in dem sie uns ansieht. Die erste aller Hexen.«
    Plötzlich klang Elinors Stimme flehend.
    »Ich habe alles verloren, Ravenna. Man jagte mich aus meiner Burg und nahm mir meine Ländereien. Fast hätten mich die Stadtherren von Straßburg als Schadenszauberin verbrannt. Ironischerweise verdanke ich ausgerechnet Velasco mein Leben. Er hinderte die Menge dran, den Scheiterhaufen anzuzünden. Als Gegenleistung sollte ich seine Falken pflegen – dafür würde er mich in die Berge mitnehmen. Aber glaubst du, das hier ist ein Leben?« Sie deutete auf die gefesselten Vögel, auf die nackten Wände des Turms.
    »Weiß Beliar, dass du hier bist?«, wollte Ravenna wissen.
    Elinor blinzelte. Sie hob die Hand mit dem Dolch und rieb sich das Kinn.
    »Du bist wirklich nicht auf den Kopf gefallen. Das muss man dir lassen«, murmelte sie. »Und jetzt rate einmal mehr, Lieblingskandidatin des Teufels: Bin ich das Verderben, das Velasco in diesem Turm vor Beliar und den Sieben versteckt? Bin ich seine geheime Waffe, die euch alle vernichten wird? Oder bin ich Teil des Spiels? Deine heimliche Helferin? Natürlich wirst du die Antwort unmöglich herausfinden, denn ich könnte jederzeit meine Meinung ändern. Doch wie schon gesagt: Es kommt nicht darauf an, ob du mir vertraust.«
    Sie streckte die Hand aus. Ravenna zögerte kurz. Dann ließ sie zu, dass Elinor sie am Handgelenk fasste.
    »Falls – und ich sage ausdrücklich: falls – ich Morrigan jemals wiedersehen sollte, werde ich ihr von dir berichten«, erklärte sie. Sie schaute der Hexe vom Hœnkungsberg dabei in die Augen. »Mehr kann ich nicht tun. Du kannst unmöglich wissen, ob ich mein Wort halten werde. Aber es kommt auch nicht darauf an, ob du mir glaubst.«
    Elinors Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Offenbar war Schlagfertigkeit eine gute Eigenschaft für eine schwarze Hexe. Dann stach der Dolch zu, kurz und schmerzhaft. Aus der Wunde an der Handwurzel trat ein dunkler Tropfen Blut aus, rann über ihre Haut und tropfte ins Stroh.
    »Ich glaube dir. Verlass dich darauf«, sagte Elinor. Wieder schnippte sie mit den Fingern.
    Der Rabe flog auf und kam genau auf Ravenna zu. Sie erschrak, hob abwehrend die Hände. Die Schwingen des Vogels klatschten ihr gegen die Unterarme, Federn streiften ihr Gesicht. Flatternd prallte der Rabe gegen ihre Schulter.
    »Halte ihn fest! Du musst ihn festhalten!«
    Sie griff blindlings zu. Spürte weichen Flaum, Krallen, die sich im Stoff ihres Gewands verhakten. Endlich gelang es ihr, die wild schlagenden Flügel an den Körper des Raben zu drücken. Sie ging in die Knie. Die Klauen gruben sich durch den Rock in ihren Oberschenkel. Von der blutenden Wunde an ihrem Handgelenk blieben rote Streifen auf dem Gefieder zurück.
    »Und was jetzt?«, keuchte sie, über den Vogel gebeugt. Das Haar

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