Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
Vom Netzwerk:
Silber.
    Plötzlich fiel ihr etwas ein, und sie ließ die Tasche los. »Lucians Schwert war zerbrochen. Das ist doch bestimmt … nein, nein, keine Panik! Jodok der Schmied hat die Klinge wieder zusammengesetzt. Und er hat ihr einen Namen gegeben«, fügte sie hastig hinzu, als sie das Entsetzen auf den Gesichtern ihrer Freundinnen bemerkte. Offenbar kam eine gesplitterte Klinge auf der Skala des Schreckens gleich nach einem geborstenen Ei.
    »Wie habt ihr Jodok entlohnt? Ihr habt ihn doch für seine Arbeit bezahlt, nicht wahr?« Selbst die kühne Jägerin Josce klang nervös.
    Ravenna nickte. »Wir haben ihm einen Sack voll Münzen gegeben.«
    Die Hexen atmeten erleichtert auf. »Gut. Sehr gut«, murmelte Josce. »Jodok pflegt nämlich Waffen mit Magie zu besprechen, wenn man ihn mit Schuldscheinen abspeist. Dann tun sie unerwünschte Dinge und zwar vor allem dann, wenn man es am wenigsten brauchen kann.«
    »Kann ich mir denken«, murmelte Ravenna.
    In diesem Augenblick schallten Rufe durch den Treppenturm. Marvin verlangte lautstark nach seiner Hexe. Nevere erhob sich und zwängte sich, eine Entschuldigung murmelnd, an den Stuhlreihen vorbei. »Warum brüllst du so?«, rief sie in den Treppenschacht hinunter. »Was ist los?«
    Marvins Antwort klang unverständlich. Nevere warf einen Blick über die Schulter und sah Ravenna an. »Nein«, rief sie dem Späher dann zu. »Norani, kommst du bitte? Marvin meint, es wäre gut, wenn du uns helfen kannst.«
    Norani erhob sich. Nach einigen Augenblicken verschwanden die beiden Frauen auf der Treppe.
    Ravenna seufzte und lehnte sich zurück. Sie war froh darüber, dass sie sich nicht um das Problem kümmern musste, was immer es war. Sie fühlte sich zum Umfallen müde. Wenn sie aus dem Fenster schaute, konnte sie den benachbarten Turm sehen, einen Zwilling ihres Bergfrieds. Das dunkelblaue Banner der Mathematikerloge hing auf Halbmast. Die meisten Fensterläden waren geschlossen. Nur hinter einem Fenster brannte ein einsames Licht. Ab und zu sah sie einen Schatten durch den Schimmer gehen. Offenbar fanden auch die russischen Magier keine Ruhe.
    Plötzlich schmeckte der Wein in ihrem Becher bitter. Zwei tote Freunde und zahlreiche weitere Opfer, die nach dem Kampf um den Hohlweg im Wald liegen geblieben waren. Aus Beliars Spiel war längst blutiger Ernst geworden.
    Die übrigen Hexen waren in Gespräche vertieft, die sich noch immer um den vermeintlichen Auslöser der Pechsträhne drehten. Seufzend schob Ravenna ihren Stuhl zurück und hängte sich die Satteltaschen über die Schulter.
    »Ich werde mich mal umschauen, ob es in diesem Turm einen Platz zum Ausruhen gibt«, verkündete sie.
    Niemand schenkte ihr Beachtung. Die junge Ellis nickte ihr flüchtig zu und rückte ihren Stuhl zur Seite, damit sie vorbeikam. Anschließend beugte sie sich wieder über den Tisch.
    Ravenna trat in den Treppenturm. Aus dem Untergeschoss hörte sie die Stimmen der Ritter. Zusammen mit den anderen Geräuschen bildeten sie seltsame, verschwommene Echos. Ein letztes Geleit für den König und eine Nachtwache für die Sieben.
    Ravenna legte eine Hand auf das Geländer und blickte nach oben. Die Wendeltreppe schraubte sich in den nächsten Stock, schwindelerregend steil und eng. Sie schob sich eine Haarsträhne aus den Augen. Dann stieg sie langsam die Stufen empor. Der Verbindungsriemen der Satteltaschen schnitt in ihre Schulter. Der alchemistische Gral war schwer. Sie würde sich ein ruhiges Plätzchen suchen und herausfinden, wie sich das Behältnis öffnen ließ. Sobald sie das Geheimnis kannte, fand sie vielleicht ein wenig Ruhe.
    Auf dem nächsten Absatz lag eine Rabenfeder. Ravenna machte einen Schritt über die Feder hinweg und trat in die Turmkammer. Ein scharfer, ungewohnter Geruch empfing sie. Der Boden war mit einem Gemisch aus Stroh, Federn und weißen Kotflecken übersät. Käfige hingen von den Dachbalken herab. Manche waren leer, in anderen saßen schläfrige Singvögel oder Eulen. An den Wänden waren Stützbalken angebracht. Die Lederpolsterung zeigte Spuren von Krallen. Auf den Balken hockten Falken und Sperber. Ravenna entdeckte sogar einen Adler.
    Auf Zehenspitzen trat sie in den Raum. Federn stoben empor, wirbelten um ihre Knöchel und senkten sich wieder. Lautlos ließ sie die Satteltaschen zu Boden gleiten.
    Die Köpfe der Greifvögel waren mit blauen Hauben bedeckt, geschmückt mit Kordeln und Federbüscheln. An Haken hingen Futterbeutel und prall gefüllte, doppelt

Weitere Kostenlose Bücher