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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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galt Ravenna. »Mit mir? Was soll mit mir sein?« Sie war so satt, dass sie sich nur schwerfällig regen konnte. Im Geiste war sie noch mit einer ganz anderen Frage beschäftigt. »Wieso habt ihr Eier in euren Satteltaschen?«
    »Als Wegzehrung«, erwiderte Norani. »Es bringt Unglück, wenn die Schale bricht, bevor man so ein gesottenes Ei essen möchte. Aber das scheint wohl nicht der Fall zu sein. Merkwürdig. Irgendwas muss diese Pechsträhne ausgelöst haben.«
    Nachdenklich stützte sie die Ellenbogen auf den Tisch. Ihre Arme waren mit dicken Silberringen beladen. Schutzamulette baumelten von ihrem Hals – die Grundausstattung einer Dämonenbannerin, dachte Ravenna. Neben der dunkelhäutigen Wüstenhexe kam sie sich ziemlich blass und unscheinbar vor.
    »Ich bin sicher, dass eine von uns einen Unglücksbringer bei sich trägt. Vermutlich ahnt sie es nicht einmal«, fuhr Norani fort. Sie langte nach einem Holzspan und bohrte damit zwischen den Zähnen. Anschließend spuckte sie kräftig aus. »Irgendwas übersehen wir.«
    Ravenna setzte sich aufrechter hin. Die Hexen suchten nach einem Unglücksbringer? Sie hatte nicht einmal gewusst, dass es so etwas gab. Sicher – es war nicht ratsam, schwarzen Katzen zu begegnen. Oder einen Regenschirm im Hausflur aufzuspannen, bevor man auf die Straße trat. Aber ein Loch in einer Socke? Du liebe Güte.
    »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Constantin wegen eines Unglücksbringers gestorben ist«, hörte sie sich sagen. Gleich darauf bereute sie ihre vorlaute Bemerkung, denn die Sieben funkelten sie wütend an.
    »Auch nein?«, fauchte das Mädchen Aveline. »Was sagst du dazu: Ich habe heute Morgen eine Krähe gesehen, die nach Norden flog.«
    Ravenna zog die Augenbrauen in die Höhe. »Du meinst, heute Mittag. Kurz vor dem Überfall. Den Vogel habe ich auch gesehen. Aber das war keine Krähe. Das Gefieder war weiß.«
    Die junge Hexe schüttelte den Kopf. »Heute Morgen«, beharrte sie. »Lange bevor wir euch in der Schmiede fanden. Und es war eine Krähe. Ganz bestimmt.«
    Die anderen Hexen murmelten besorgt. »Krähen und Käuze kündigen den Tod eines Freundes oder eines Familienmitglieds an«, erklärte Ellis. Sie schob beide Hände in ihre Rocktaschen. Als sie sie wieder hevorzog, hielt sie eine Menge zerknüllter oder verknitterter Dinge darin, die sie auf den Tisch fallen ließ.
    Nevere beugte sich vor. Mit spitzen Fingern sortierte die Heilerin das Häufchen. »Eine Kornähre vom Vorjahr. Harmlos. Eher glückverheißend als schädlich. Aber so, wie sie aussieht, zu nichts mehr zu gebrauchen.« Die Heilerin warf das graue, geknickte Ding in den Kamin, wo es knisternd verbrannte. »Ein Säckchen mit Schwefel. Darauf würde ich gut aufpassen. Eine Spule mit Garn. Riskant. Alles was sich zu Knoten, Schlingen und dergleichen formen lässt, würde ich mit Vorsicht genießen. Ein … was ist das? Ein geschnitzter Drache? Kinderkram. Ein Andenken an deinen kleinen Bruder?« Der hölzerne Drache wanderte auf den harmlosen Haufen. »Und was ist das hier?« Die Hexe von Lammas hielt eine durchbohrte Münze in die Höhe, durch die ein roter Faden gefädelt war. »Ein Zauber, der einen prallen Geldbeutel bewirken soll. Interessant.«
    Ellis wurde rot. Sie schwieg.
    »Das solltest du nicht mit dir herumtragen«, stellte Aveline fest. »Es ist riskant, Magie zu Geld zu machen.«
    Die Bemerkung der minderjährigen Hexe galt eindeutig Ravenna. Die Sieben sahen sie an.
    »Das ist doch Aberglaube«, verteidigte sie sich. »Es gibt keine Unglücksbringer.«
    »Woher willst du das wissen?«, knurrte Norani. »Es liegt doch auf der Hand, dass wir vom Pech verfolgt werden. Fakt eins: Der König ist tot. Fakt zwei: Wir sitzen in diesem Turm fest, der uns zwar Schutz bietet, in dem wir aber genauso gut gefangen sind. Fakt drei …«
    Noranis Blick wanderte vielsagend zur Satteltasche, die an der Stuhllehne hing. Ravenna griff unwillkürlich hinter sich. Zwischen den Fingern spürte sie die eiförmige Struktur des alchemistischen Grals.
    Ihr Herz klopfte. Sie hatte noch nicht den Mut gefunden, die Siegerprämie der dritten Runde auszupacken – geschweige denn, sich zu fragen, wie sich das merkwürdige Gefäß öffnen ließ. Kreide hatte ihr den Hinweis geliefert, was den Koffer mit der Gabelrippe betraf. Yvonnes Haar hatte ihr geholfen, das Schatzkästchen mit der Landkarte aufzuschließen. Aber der Gral lag schwer und unzerstörbar in ihrer Hand, ein Objekt aus massivem

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