Tore der Zeit: Roman (German Edition)
stehlen. Dinge wie die Siegel der Hexen beispielsweise.«
Ravenna zuckte zusammen. Die Stimme ihrer Freundin klang eisig. Norani griff in ihren Umhang und zog eine weiße Feder hervor. Anklagend hielt sie sie in die Höhe. Dann ließ sie den Schaft los. Die Feder segelte langsam zu Boden und blieb vor Ravennas Füßen liegen.
»Das fiel heute Morgen aus deinem Umhang«, fuhr Norani fort. »Ellis hat die Feder gefunden, als sie deinen Mantel holte. Das Mädchen ist erst seit Kurzem bei uns und wagte deshalb nicht, sich mir anzuvertrauen. Sie rückte erst damit heraus, als dein Ritter seinen Freunden gegenüber das Schwert zog.« Ihre Nasenflügel blähten sich. »Verlogenheit und Verrat«, fuhr Norani gefährlich leise fort. »Wenn das kein Unglück bringt, weiß ich auch nicht.«
Sie wandte sich an die übrigen Sieben. »Wer sich das nicht länger bieten lassen will, kommt mit mir und Ramon. Allen anderen – viel Glück.«
Brüsk wendete die Wüstenhexe das Pferd und trabte zur Absperrung. Ramon schüttelte die Hände seiner Freunde ab, die ihn noch immer festhielten. Er stapfte zu seinem Pferd, zog sich in den Sattel und trabte über die abschüssige Wiese hinter Norani her. Er warf keinen einzigen Blick zurück.
Ravenna hatte das Gefühl, der Boden unter ihren Füßen schwankte. Die anderen Ritter wichen vor ihr zurück. Chandler und Darlach gingen zu ihren Hexen zurück, die neben der Absperrung warteten. Terrell und Aveline verließen die Anhöhe sofort. Schließlich waren nur noch sie und Lucian übrig.
»Es tut mir leid«, wiederholte er. Sämtliche Kameras waren auf sie gerichtet. Offenbar hatten die Leute genug von den strahlenden Siegern. Man wollte auch die langen Gesichter der Verlierer sehen.
»Geh! Verschwinde doch endlich!« Ihre Stimme klang schriller als beabsichtigt. »Du hast deine Freunde ja gehört. Seit ich in den Konvent kam, habe ich euch nichts als Unglück gebracht! Und nun ist alles zerstört. Alles! Was willst du also noch von mir?«
Lucian zögerte. Wenn er jetzt sagt, dass er mich liebt, bringt mich das um, dachte Ravenna.
»Wer verliert, muss den Montmago verlassen. So lauten die Regeln«, erinnerte sie ihn giftig. »Wenn du einfach aufgibst, musst du gehen. Hörst du? Du musst von hier verschwinden!«
Lucian senkte den Kopf. »Ja. Das ist richtig«, murmelte er. »So lauten die Regeln. Du brauchst nun keinen magischen Gefährten mehr. Nur ein Schritt noch, ein einziger Schritt, und du hast alles erreicht, was du erreichen wolltest. Ich hoffe, das war es wert.«
Er machte kehrt und ging davon. In eine andere Richtung als Ramon. Der struppige Hund lief kreuz und quer über die Wiese. Verstört klemmte er den Schwanz zwischen die Beine. Als er Marvin entdeckte, der sein und Neveres Pferd am Zügel führte, rannte er seinem Herrn hinterher.
Plötzlich merkte Ravenna, wie totenstill es auf der Anhöhe war. Niemand bewegte sich. Alle Anwesenden starrten sie an.
Die weiße Feder lag noch auf dem Boden. Sie ging hin, bückte sich und hob sie auf.
In diesem Moment hasste sie den Spielmacher so sehr, wie sie in ihrem Leben noch niemanden gehasst hatte. Denn Beliar hatte geschafft, was sie für unmöglich gehalten hatte: Der Zirkel der Sieben war zerbrochen.
Zeit zu wählen
Das Tor ragte vor Ravenna auf. Der Strom, der durch das Portal floss, schien in allen Farben zu kochen. Im Angesicht der Erscheinung kam sie sich winzig vor.
Langsam ging sie auf das Portal zu. Die Schwarzmagier hatten ihre Plätze geräumt. Nun gab es keine Sperre mehr, kein Hexagon aus Licht, das Unvorsichtige davon abhielt, sich in die brodelnde Magie zu stürzen. Der Weg zum Tor war nun frei.
Ravennas Fuß stieß gegen eine harte Kante, und sie blickte auf den Boden. Zwischen Bergkräutern und Frühlingsgras ragte ein Stein aus der Weide. In die Oberfläche war ein Pentagramm geschlagen worden, und in dessen Mitte saß ein Silberring.
Ravenna bückte sich und strich über den Reif. Es war ein Hexensiegel. Neveres Siegel, um genau zu sein: Sie konnte die Kornähre und die eisblau schimmernden Edelsteine deutlich erkennen. Etwa dreißig Schritte weiter war Noranis Ring auf ähnliche Weise im Boden verankert. Die Tigeraugen glänzten samtig. Dann folgte das Siegel von Samhain, geschmückt mit violettem Amethyst.
Torsteine. Sie bildeten einen Kreis um das Portal. Auf diese Weise war es Beliar also gelungen, den Durchgang auf dem Montmago offen zu halten. Er missbrauchte die Macht der Hexen. Ravenna
Weitere Kostenlose Bücher