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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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Gasschleiern bekamen sie es jedoch mit der Angst zu tun und fingen an, einander herumzustoßen. Am härtesten traf es den jungen Vasily, der offenbar als Versuchskaninchen dienen sollte. Der Russe mit dem Kupferhaar geriet ins Stolpern, ruderte mit den Armen. Aber er fing sich wieder. Erst der zweite Stoß stürzte ihn endgültig ins Tor.
    Keuchend stemmte sich Ravenna hoch. Vasilys Körper schien in farbigem Quecksilber zu versinken. Es ging schrecklich langsam. Treibsand, der seinen Körper einsaugte.
    »Wir wissen schon, was wir tun!«, keuchte Vadym ihr ins Ohr. Mit einer Hand hielt er sie fest. »Glaub mir, wir wissen Bescheid. Wir können das Tor beeinflussen. Wir haben alles durchgerechnet.«
    »Er wird sterben, verdammt!«, schrie Ravenna ihm zu. Sie wand sich unter ihm – vergeblich. Vadym lag wie ein Sack voll nasser Kleie auf ihr.
    Durch den Mantelstoff presste sie ihr Siegel auf den Boden. Vielleicht leitete es einen Teil der tosenden Energie ab, raubte dem Tor seine tödliche Gefährlichkeit. Der Ring unter ihren Fingern brannte wie Eis.
    Da bemerkte sie, dass Lucian seinen Freunden den Weg versperrte. »Nein!«, schrie er. »Nein! Bleibt stehen! Lauft nicht weiter!«
    »Was machst du denn?«, brüllte Ramon zornig. »Wenn du die Krone nicht willst, dann geh mir gefälligst aus dem Weg.« Er wollte an Lucian vorbeistürmen. Die anderen Ritter machten Anstalten, ihm zu folgen. Da zog Lucian das Schwert, streckte Klinge und Scheide seitwärts aus.
    »Keinen Schritt weiter!«, warnte er. Auch wenn er sicher einen guten Grund dafür hatte – er stand mit blanker Waffe vor seinen Freunden. In derselben Sekunde schloss sich Ramons Faust um das Heft seines Schwerts.
    »Was ist da los?«, stöhnte Ravenna. »Was passiert da?«
    Vadym drückte sie härter zu Boden. »Wir gehen als Erste durch das Tor«, keuchte er. »Wir gewinnen dieses Duell!«
    Die anderen Russen folgten Vasily. Einer nach dem anderen sprang, tauchte ein wie in öliges Wasser. Zuletzt ragte nur noch ein entsetztes Gesicht aus dem Strom, ein Arm. Einzelne Finger. Dann waren Vadyms Freunde verschwunden.
    Ravenna bäumte sich auf. Endlich rutschte der Russe von ihr herunter, und sie kam auf die Knie hoch.
    Wie Segel blähten sich die riesigen Stoffbahnen vor den Türmen. Sie zeigten Orianas erwartungsvolle Miene und Velascos gespanntes Lächeln. Eigentlich sollten die Magier aus Sankt Petersburg längst auf der anderen Seite des Tors erscheinen, auf der Wiese neben dem Eiffelturm. Aber sie kamen nicht – weder Vasily noch die anderen.
    »Du!«
    Das kam von Ramon. Ravenna fuhr herum. Wutentbrannt stürzte sich der junge Ritter auf seinen besten Freund. Mit bloßen Fäusten schlug er auf Lucian ein. »Wie konntest du das tun? Wieso hast du verhindert, dass wir durch das Tor gehen?«
    »Ramon!« Sie sprang auf und fiel dem einäugigen Ritter in den Arm. Aber sie bekam nur Stahlglieder und grobe Wolle zu fassen. Ramon stieß sie weg, sodass sie taumelte. Er schien ihr Gewicht überhaupt nicht zu spüren.
    »Was sollte das?«, schrie der junge Ritter. »Wieso hältst du uns auf?«
    Lucian duckte sich, wich mit erhobenem Arm zurück. Er hielt Cors Klinge so, dass sie Ramon nicht verletzten konnte. »Es ist eine Falle«, stieß er hervor. »Mein Vater hat uns eine Falle gestellt. Deshalb sage ich: Niemand von uns tritt durch das Tor.«
    »Glaubst du, wir merken nicht, was hier läuft? Das war ein abgekartetes Spiel!« Ramons Narbe wurde dunkelrot. »Du und deine Hexe aus der Zukunft, ihr denkt wohl, ich sei blind. Auch wenn ich nur noch ein Auge habe, Lucian: Ich sehe ganz genau, was hier geschieht. Norani sieht es. Wir alle kriegen mit, dass ihr hinter unserem Rücken Pläne schmiedet!«
    Dann tauchten Darlach und Terrell auf und zerrten ihn von Lucian weg.
    »Bist du verrückt geworden?«, keuchte Ravenna. »Was ist denn in dich gefahren?«
    Vor schlechtem Gewissen brach ihr der kalte Schweiß aus. Eine Nacht im Turm der schwarzen Hexe. Und nun Velasco, der mit seiner blutigen Beute auf der anderen Seite des Tors lauerte. Sie wusste, welchen Anschein das erweckte.
    Mit aller Kraft warf sich Ramon nach vorn. Die Nähte an seiner Kleidung platzten auf, als Darlach und Terrell nicht losließen. Um ein Haar wäre er freigekommen.
    »Wieso trägt dein Vater den Ring unseres Ordens?«, brüllte er. »Wie kann es sein, dass Velasco den Ring des Königs hat?«
    »Ramon, hör auf!«, rief Ravenna. »Du hast keine Ahnung, was in Carcassonne passiert ist.

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