Tore der Zeit: Roman (German Edition)
Lucian wurde …«
»Halt dich da raus!«, fuhr ihr Ritter sie an. Mit dem Handrücken wischte er sich über den Mund und spuckte Blut auf den Boden. »Ich habe nie behauptet, dass ich als König geeignet wäre. Niemals, Ramon. Hörst du?«
»Geeignet – ja, mit diesem Geschwätz hast du uns die ganze Nacht über hingehalten!«, lachte Ramon bitter. »Hast du wenigstens Constantin die Wahrheit gesagt? Warst du wenigstens ehrlich, als er starb? All die Eide, die du geschworen hast. Vor Maeve. Vor Ravenna. Vor den Sieben. Gelogen! Du bist Velascos Sohn, und daran wird sich auch in tausend Jahren nichts ändern!«
Entschlossen schritt Lucian auf Ramon zu. Ravenna sog erschrocken den Atem ein. »Du kennst mich«, stieß er hervor. »Besser als jeder andere, Ramon. Du weißt, dass ich dem Orden nie schaden würde.«
»Und was ist mit dem Ring?«, schrie Ramon. »Nur ein Angehöriger des Ordens hat das Recht, ihn zu tragen!«
»Das ist es doch gerade«, brüllte Lucian ihn in derselben Lautstärke an. »Mein Vater war früher ein Mitglied des Ordens. Constantin hat ihm die Zugehörigkeit zu unserem Bund nie aberkannt. Nach Velascos Hinrichtung hielt er es wohl nicht mehr für nötig. Deshalb könnte mein Vater jederzeit das Recht beanspruchen, unser neuer König zu sein. Begreifst du das, Ramon? Er ist der Dienstälteste in unserer Runde. Ist dir klar, was das heißt?«
»Er ist ein Hexer – genau wie du!«, schrie Ramon ihm ins Gesicht.
Mit einer kalten, genau bemessenen Bewegung führte Lucian das Schwert zurück in die Scheide. »Es war ein Fehler, die Königswahl heute Morgen auf dem Montmago durchzuführen, ganz egal wie viele Adelige das Pamphlet unterzeichnet haben.«
Er drehte sich zu Beliar um, der den Streit mit einem Glitzern in den Augen verfolgt hatte. »Wir verzichten auf diesen Wettkampf. Wir verzichten auf den Sieg in diesem Duell. Es ist vorbei.«
Ravenna hatte das Gefühl, jemand versetze ihr einen Schlag auf den Kopf. Ihre Knie fingen an zu zittern.
Lucian würde nicht mit ihr durch das Tor gehen. Er verließ sie erneut, und diesmal war es endgültig. Wenn ihr Ritter jetzt freiwillig ausschied, wurden sie für immer getrennt. Es gab keine Gewissheit, ob sie jemals wieder die Gelegenheit bekam, ins dreizehnte Jahrhundert zu reisen. Es gab noch nicht einmal die Gewissheit, dass sie ihre eigene Zeitreise überlebte.
»Lucian«, ächzte sie. Ihr Herz hämmerte.
In diesem Augenblick setzte rauschender Applaus ein. Sie blickte zu den Leinwänden auf. Ein Russe mit dunklen Locken erschien als Erster auf der anderen Seite. Er taumelte über die Rasenfläche um den Eiffelturm, als sei er aus großer Höhe herabgefallen. Sobald er sich gefangen hatte, fing er an zu laufen. Ein anderer Magier, den Ravenna wegen seiner Vorliebe für marinefarbene Hosen insgeheim den blauen Künstler nannte, überholte ihn auf den letzten Metern.
»Semyon! Na los!«, schrie Vadym. Er sprang hoch und boxte in die Luft. Oriana drehte sich lächelnd zu den Läufern um. Eine Hand griff nach der silbernen Waffe. Ein lauter Tusch ertönte. Dann zoomte die Kamera die Menschenmenge heran.
Semyon wurde von seinen Freunden auf Händen getragen. Dauernd fuchtelte er mit dem silbernen Revolver und ballerte vor Vergnügen in die Luft. Der Jubel war ohrenbetäubend.
Schließlich brach die Übertragung ab. Das Logo des WizzQuizz erschien auf den Leinwänden, und in der Zukunft begann vermutlich die Werbepause.
»Es tut mir leid«, sagte Lucian. Er klang beherrscht und seltsam abweisend.
Ravenna schluckte. »Ja. Mir auch«, murmelte sie.
»Du verstehst sicher, dass ich nicht länger bleiben kann. Nicht hier. Nicht bei dem Orden.«
»Ja sicher. Das verstehe ich.« Ihr Kopf dröhnte. Sie wollte schreien.
»Ich weiß, wie wichtig dir dieser Wettkampf war.«
»Allerdings. Das war er.«
»Aber du hast Yvonne jetzt gefunden. Du wirst sie nach Hause bringen. Alles wird gut werden, hörst du?«
Wie lange dauert es, bis ein Mensch an Verzweiflung stirbt?, fragte Ravenna sich. Sekunden? Bitte lass es nur Sekunden sein.
Sie antwortete nicht. Als sie Hufschläge hörte, drehte sie sich um. Norani ritt auf ihrem Rappschimmel herbei, einem metallisch schimmernden Tier. Die Wüstenhexe führte Ramons Pferd am Zügel. Ihr Gesicht wirkte verschlossen.
»Ich habe herausgefunden, was uns Unglück brachte«, erklärte sie. »Es ist ein weißer Rabe. Ein Albino. Offenbar wurde er dazu abgerichtet, Botschaften zu übermitteln und Dinge zu
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