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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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hatte nie daran gezweifelt, dass er hinter dem Diebstahl der Siegel steckte. Nun hatte sie Gewissheit, wozu er die Ringe entwendet hatte.
    Ihr Blick fiel auf den letzten Torstein. Dort fehlte das Siegel. Es war der Platz für ihren eigenen Ring. Den Schatz der Tormeisterin.
    Endlich begriff sie, was der Spielmacher von ihr wollte.
    »Eine letzte Frage trennt unsere beiden Kandidaten vom großen Finale.« Beliars Stimme schallte über die Anhöhe. Die Menschen dies- und jenseits des Tores hörten ihm zu. »Nur noch eine einzige Frage. Dann wissen wir, wer der Sieger dieses großen Wettkampfs ist. Wer die richtige Antwort kennt, erhält das Preisgeld. Und weil Vadyms Freunde ihre Prüfung gemeistert haben, darf unser russischer Freund den Umschlag öffnen.«
    Beliar winkte. Zu Ravennas Entsetzen kam Yvonne auf sie zu, mit einem platinfarbenen Umschlag in der Hand. Ihre Schwester blieb mit dem Rücken zu den Kameras. Ihr Gang war unsicher, und ihre Augen ruhten auf Beliar.
    Sie hat Angst vor ihm, dachte Ravenna.
    Vadym schaute jedoch zu ihr hin, stellte sie fest. Er musterte sie mit einem Ausdruck zwischen Argwohn und Mitleid. Und schwitzte vor Aufregung. Kein Wunder, dachte Ravenna. Eine einzige Frage trennte ihn nun noch vom Hauptgewinn.
    Yvonne streckte ihm den Umschlag entgegen. Vadyms Finger zitterten gierig, als er nach der Hülle griff.
    Teilnahmslos sah Ravenna zu, wie er den Brief mit den Zähnen aufriss und die Hand hineinsteckte. Nichts war mehr wichtig. Sie hatte das Spiel des Teufels verloren, selbst wenn sie die Antwort auf die letzte Frage wusste. Beliar hatte sie und Lucian so weit getrieben, dass sie alles riskiert hatten – und alles verloren. Sie hatten die ungeschriebenen Gesetze der Hexen verletzt. Hatten schwarze Magie eingesetzt, um den Ritt durch die Berge zu überleben. Nun hatten sich ihre Freunde von ihnen abgewandt. Ihre Liebe füreinander zerbrach. Sie verlor alles, was in ihrem Leben wichtig gewesen war. Und wofür?
    Das ist das Wesen der schwarzen Magie, dachte Ravenna. Sie zerstört alles, woran ein Mensch hängt.
    Vadym zog ein Kärtchen aus dem Umschlag. Mit gerunzelter Stirn hielt er es eine Armlänge von sich weg und studierte die Frage.
    »Lies sie laut vor«, bat Beliar. »Wir alle wollen hören, wie die letzte Aufgabe lautet.«
    Der Magier hob den Kopf. Nervös leckte er sich über die Lippen und schaute Ravenna an.
    »Aura magyca« , las er dann. »Ardor magyca. Mare magyca. Und Terra magyca. So nennt man die Artefakte, die den Fürsten der Welt gehören. Wie lautet die Bezeichnung für das Artefakt des fünften und letzten Fürsten?«
    Als er aufblickte, bemerkte Ravenna den gelösten, beinahe schläfrigen Ausdruck auf seinem Gesicht. Er weiß es, dachte sie. Entsetzen und Erleichterung ergriffen sie gleichzeitig. Es war vorbei. Vadym wusste die Antwort auf die letzte Frage und würde das Duell gewinnen. Es war alles umsonst gewesen.
    Zögernd streckte Vadym ihr die Karte entgegen. »Ich passe«, sagte er. »Ich weiß die Antwort nicht.«
    Sie starrte ihn an. Er musste die richtige Lösung einfach wissen. Es war nicht einmal schwer. Die Antwort lag praktisch auf der Hand.
    »Worauf wartest du?«, raunte Vadym ihr zu. »Greif zu! Du wirst doch jetzt nicht aufgeben? Das geht nicht. Aufgeben ist etwas für Chasenfüße.«
    Ravenna blinzelte. »Was? Wovon zum Teufel redest du?«
    »Chasenfüße. Angstchasen. Sagt man nicht so?« Vadym wischte sich mit dem Spitzenärmel über das Kinn.
    Da begriff sie: Es war gelogen. Der Magier wusste die richtige Antwort sehr wohl, aber er überließ ihr den Vortritt – der Ehrenmann aus Sankt Petersburg.
    Sie schluckte. Vadyms Blick war nun auf das Tor gerichtet, das den ganzen Horizont einnahm. »Es ist vorbei«, murmelte er. »Das Spiel ist aus.«
    Erst verstand Ravenna nicht, was er meinte. Dann nickte sie. »Das Spiel ist aus. Aber ich werde dieses Duell nicht so schnell vergessen. Das verspreche ich, Vadym.«
    »Ich werde es überhaupt nicht vergessen«, erwiderte der Magier. »Nie mehr.«
    Die Lichter des Tors flackerten in seinen Augen. Plötzlich fielen ihr seine dreckigen Fingernägel auf, die Staubschicht auf den Stiefeln und die Schramme an seiner Stirn. Vadym sah aus wie jemand, der mitten in der Nacht ein Grab ausgehoben hatte.
    »Es tut mir leid«, sagte sie leise. Vermutlich hatten die Magier im Dunkeln nach Cezlavs Leichnam gesucht und ihn beerdigt. Falls sie das Einschussloch entdeckt hatten, wussten sie, dass Lucian nichts mit

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