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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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seinem Tod zu tun hatte. Es war mehr als offensichtlich gewesen, dass der junge Ritter keine Ahnung von Revolvern hatte.
    »Sicher«, murmelte Vadym. »Am Ende tut es uns immer leid. Aber dann ist es meist zu spät. Also was jetzt, Ravenna? Gehörst du zu den Chasenfüßen? Oder bist du eine echte Chexe?«
    »Was glaubst du wohl?«
    Sie schnappte sich die Karte, bevor Beliar Luft holen konnte. Gleichzeitig schob sie eine Hand in ihre Tasche.
    »Das Artefakt des fünften Fürsten«, rief sie, an die Zuschauer und die gierigen Kameraaugen gewandt. Als sie den funkelnden Hexenring hervorzog, ging ein Raunen durch die Menge. »Das ist die Kraft, die alles antreibt und die Welt in Bewegung hält. Es ist Magie. Die Antwort auf die letzte Frage lautet: Aethera magyca! Der magische Strom!«
    Mit diesen Worten holte sie weit aus und schleuderte das Siegel der Tormeisterin in das Tor. Verblüffte Gesichter folgten der Flugbahn des Rings. Ravenna nutzte den Augenblick der allgemeinen Verwirrung. Sie stürzte auf Yvonne zu und packte ihre Schwester am Handgelenk. Und sprang.
    Eisige Kälte umschloss sie. Die Kraft des Tors brannte auf ihrem Gesicht, verätzte ihre Lunge. Plötzlich zog die zehnfache Schwerkraft an ihr. Sie konnte nicht atmen, auch nach dem fünften und sechsten Herzschlag nicht. Ihr Puls fing an zu rasen.
    Ein Zeitsprung dauerte nur Sekundenbruchteile, in menschlicher Zeit gemessen, doch diesmal war es anders. Etwas stimmte nicht. Das Tor war instabil. Eine tödliche Kraft pulsierte darin. Das Portal würde sie in Stücke reißen.
    Yvonne trudelte unweit von ihr, die Arme weit ausgebreitet, die Augen geschlossen. Die goldenen Haare schwammen wie ein Fächer um ihren Kopf.
    In diesem Augenblick verformte sich die Magie. Eine Welle ging durch den Strom, schwemmte sie ein Stück empor.
    Beliar war gesprungen. Hasserfüllt starrte er zu ihr empor, das Gesicht verzerrt wie hinter einer regennassen Fensterscheibe.
    » Freasanier !«, schrie Ravenna. Ihre Stimme war ein Echo unter Wasser. Doch es gelang – das Quellen und Strudeln hörte auf. Der magische Strom erstarrte, und die Zeit blieb stehen.
    Die Zuschauer im Mittelalter verharrten regungslos, die Münder staunend geöffnet, die Arme gehoben. Der weiße Rabe schien in der Luft gefroren. Steif hingen die Banner in der Luft. Auch am Eiffelturm regte sich nichts mehr.
    Mit nahezu übermenschlicher Anstrengung drehte sich Ravenna um und griff in das verschwitzte Haar ihrer Schwester, näherte den Mund Yvonnes Ohr.
    »Tsraw ud saw, redeiw edrew!«, rief sie. »Hörst du mich, Yvonne? Tsraw ud saw, redeiw edrew!«
    Werde wieder, was du warst. Mit diesem Bann, rückwärts gesprochen, hoffte sie Beliars Bindezauber zu entkräften.
    Ein Ruck ging durch Yvonnes Körper. Sie schlug die Augen auf und lächelte. »Du bist jetzt eine von uns«, sagte sie. »Du bist die fünfte Fürstin. Und du hast eine schwarze Gabe. So etwas spüre ich.«
    Beliar brüllte auf. Er ruderte mit den Armen, streckte die Hand nach Yvonnes Rock aus. Nur Zentimeter trennten seine Finger noch vom Saum.
    »Meltannier!« , befahl Ravenna.
    Als die Magie wieder zu strömen begann, wurde ihr Körper mit Gewalt emporgerissen. Farben sprudelten an ihr vorbei, leuchtende Gase, Schlieren aus kochendem Öl. Ich sterbe, dachte sie. Wir alle sterben – alle, die sich auf dem Berg und in Paris aufhielten. Sie krallte die Finger in Yvonnes Hand. Doch es gab nichts, woran sie sich hätte festhalten können – der Strom riss sie beide mit sich fort.
    Das Tor brach zusammen. Das begriff Ravenna in einem entfernten Winkel ihres Verstands. Sie hatte es geschafft – als sie das Siegel warf, statt es im letzten Torstein zu verankern, hatte sie Beliars wahnsinnige Konstruktion zum Einsturz gebracht. Nun konnte der Teufel das Tor nicht länger halten. Das Portal schloss sich in rasender Geschwindigkeit, zog sich zusammen wie eine von Vadyms verhexten Poincaré-Schlaufen, bis aus der Schlinge ein Punkt geworden war. Und dann nichts mehr.
    Sie landete schmerzhaft auf der Seite, schlitterte über den Boden und prallte mit der Schulter gegen ein festes Hindernis. Ihr verwirrter Geist gaukelte ihr vor, dass sich eine Woge aus flüssiger Zeit in den Raum ergoss. Sie schnappte nach Luft. Aber da war nichts. Nur ein durchdringendes Summen begleitete ihre Rückkehr in die Wirklichkeit.
    Sie ächzte und raffte sich auf. Hände und Füße zu haben verwirrte sie. Sie stieß sich den Kopf an einer Kante und sackte wieder auf den

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