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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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gestürzt war und suchte die Wiese ab.
    Lilith kam zu ihr. Als eine der Wenigen war sie am Turm geblieben, hatte den Albtraum bis zum Ende miterlebt. »Tut mir leid«, murmelte sie. »Ehrlich, ich wollte ihn nicht ablenken. Mein Auto steht ganz in der Nähe. Ich fahre euch ins Krankenhaus.« Sie zögerte kurz. »Falls ihr das wollt.«
    Ravenna antwortete nicht. Misstrauisch beobachtete sie den Kameramann, der in ihrer Nähe stand und seine Aufnahmen überprüfte. Ungehalten drehte er den Monitor hin und her.
    »Was macht Lucian denn da?«, wollte Lilith wissen. »Sein Arm wird langsam blau. Ich meine … das muss er doch spüren.«
    »Wie gibt’s denn sowas? Was ist da passiert?«, fluchte der Kameramann.
    »Keine Ahnung. Sieht aus wie überbelichtete Nebelfetzen«, bemerkte sein Begleiter trocken. Er hielt einen Notizblock in der Hand, spielte mit dem Stift. »Man kann überhaupt nichts erkennen.«
    »Das sehe ich auch«, fauchte der Filmer. »Ich frage mich nur, wie das möglich ist. Ich hab die ganze Zeit draufgehalten. Ich versteh einfach nicht, wie das passiert ist.«
    Als Lucian sich bückte, fiel er beinahe vornüber. Ravenna lief zu ihm. »Was machst du denn? Du musst ins Krankenhaus. Sofort«, drängte sie. Sie fasste ihn unter dem Arm. Nässe und Kälte ließen ihn zittern.
    »Terrell hatte recht.« Er zeigte ihr seine offene Handfläche. »Manchmal wird eine Königswahl doch durch das Schwert entschieden.«
    Ravenna sog die Nachtluft in die Lungen. Lucian hatte den Ring seines Ordens gefunden.
    Lilith kannte alle Schleichwege durch Paris. Zumindest behauptete sie das. Ravenna war viel zu müde, um zu überprüfen, ob die Einbahnstraßen und Tunnel wirklich auf dem schnellsten Weg in eine Klinik führten.
    Sie saß auf der Rückbank und starrte auf die regnerische Stadt, glücklich darüber, Lucians warmes, atmendes Gewicht an ihrer Schulter zu spüren. Er war im Auto in sich zusammengesackt – zum Glück erst dort, denn zu zweit hätten sie ihn unmöglich bis zum Parkplatz schaffen können.
    »Da war heute Nacht vielleicht was los«, murmelte Lilith, als sie an der Métro-Station am Place du Trocadéro vorbeikamen. Der Eingang der U-Bahn war noch immer gesperrt. Ein Polizist hielt im Nieselregen Wache. »Ein Kerl ist auf den Gleisen herumgetorkelt. Wäre fast vor einen Zug gelaufen. Von dem Spinner fehlt noch immer jede Spur. Der Zugführer ist völlig durch den Wind. Der Ärmste.«
    »Mhm«, machte Ravenna. Das einundzwanzigste Jahrhundert war zweifellos voll von Verrückten. Warum nicht auch ein armer Obdachloser, der nachts in der U-Bahn sein Schicksal herausforderte?
    Lilith setzte den Blinker und bog ab. Die Scheibenwischer quietschen auf dem Glas. Verschwommen tauchte die Leuchtschrift über der Notaufnahme des Krankenhauses auf.
    »Ich kenne hier jemanden. Ein Pfleger ist ein ehemaliger Klassenkamerad von mir.« Die rothaarige Hexe redete ununterbrochen. »Ich könnte ihn anrufen. Wäre sicher nett. Wir haben uns schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Eigentlich ist Gael eine alte Flamme von mir. Wenn er uns aufnimmt, geht es sicher schneller.«
    Ravenna antwortete nicht. Sie saß regungslos im Auto, den Arm um Lucian gelegt, stieg aus, als man sie dazu aufforderte, und tappte benommen zur Eingangstür. Gael schien tatsächlich ein Netter zu sein. Er tauchte auf, sobald Lilith nach ihm gefragt hatte. Ein Glück für sie, dass er an diesem Abend Dienst hatte.
    Stumm ließ sie die Formalitäten über sich ergehen. Erst als Lucian und Liliths Bekannter hinter einer Glastür verschwanden, fiel ihr ein, dass ihr Ritter keine Krankenversicherung besaß. Aber Gael stellte keine Fragen.
    In diesem Augenblick wäre sie Lilith am liebsten um den Hals gefallen. Sie war so fertig, dass sie beinahe in Tränen ausgebrochen wäre.
    »Soll ich dir ein Glas Wasser holen?«
    Sie schüttelte den Kopf. Lilith hatte sich in den Kopf gesetzt, mit ihr zu warten, obwohl ihr kleiner, verbeulter Renault im Halteverbot stand.
    »Einen Schokoriegel vielleicht?«
    Wieder ein Kopfschütteln. Sprechen war viel zu anstrengend. Ravenna hockte auf der Lehne eines Plastikstuhls, der an der Wand festgeschraubt war, die Füße auf die Sitzfläche gestellt. Kopfschmerzen plagten sie.
    »Dann einen Kaffee. Kaffee wird uns beiden guttun«, beschloss Lilith.
    Energisch marschierte die rothaarige Hexe durch den Flur und suchte die Cafeteria. Ravenna blickte ihr hinterher. Lilith war eindeutig ein echter Fan, dachte sie. Ich sollte

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