Tore der Zeit: Roman (German Edition)
gefeuert.«
»Das hat Philippe gesagt?« Ungeschickt nahm Ravenna das Tablett entgegen. »Vielen Dank.«
Der Page verbeugte sich. Vielleicht verwechselte er sie trotz des feuchten Handtuchs und der ungekämmten Haare mit einer mittelalterlichen Prinzessin.
»Sie hätten die Million verdient«, stieß er hervor, bevor sie die Tür schloss. »Das finde nicht nur ich. Viele sind der Meinung. Wir alle.«
Ravenna hielt die Tür offen. »Was?«
Der Page wurde rot. »Sie haben sich zuerst für das Geld entschieden. Ihre Hand lag auf dem Koffer. Das konnten alle sehen. Und Ihre Schwester war gemein zu Ihnen. Dieses Interview … was sie da über Ihren Begleiter gesagt hat …« Plötzlich schien er nicht mehr weiterzuwissen.
»Ist schon gut«, meinte Ravenna. »Die Dinge sind nicht immer so, wie sie im Fernsehen zu sein scheinen. Die Geschichte zwischen Yvonne und mir ist viel komplizierter. Wir sind beide Hexen, verstehen Sie?«
Der Page nickte. »Trotzdem«, beharrte er. »Sie sollten die Million bekommen.«
Ravenna lächelte. Sachte schloss sie die Tür. Zum ersten Mal, seit sie den Montmago verlassen hatte, durchströmte sie ein Gefühl der Wärme.
Es ist also doch nicht alles umsonst gewesen, dachte sie. Nicht, wenn es noch mehr Menschen gab wie diesen Jungen. Eine Schattenseele, aber er war mitfühlend und gönnte ihr den Sieg. Scheinbar hatte sie Beliar in diesem unseligen Finale doch härter erwischt, als sie annahm. Und das war gut so.
Sie stellte das Tablett auf dem Bett ab und setzte sich mit übereinandergeschlagenen Beinen daneben. Offenbar war der Zwischenfall in der Métro ziemlich ernst. Blaulicht flackerte am Place de Trocadéro. Einsatzfahrzeuge, Reisebusse und ein Übertragungswagen drängten sich vor der Esplanade. Mittlerweile berichteten auch andere Sender über den Zwischenfall.
Ravenna starrte auf die rote Blume. Das Essen duftete schrecklich verlockend. Die unverlangte Bestellung würde sicher nicht von der Rechnung verschwinden, wenn sie den Teller stehen ließ. Seufzend hob sie den Deckel hoch, nahm sich eine Pommes und knabberte daran.
Plötzlich setzte sie sich aufrecht hin. Vadym – das war doch Vadym! Der Magier war einfach unverwechselbar mit seinem lässigen Auftreten und seinen Klamotten aus der Zeit von Oscar Wilde. Achtlos tastete Ravenna nach der Fernbedienung und stellte den Ton lauter.
»… habe ich beschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Es musste einfach ein Tor geben, das noch aktiv war.«
Wann war dieses Interview aufgezeichnet worden? Vermutlich handelte es sich um eine Wiederholung. Vadym war in der Zeit um 1254 gestrandet, zusammen mit unzähligen Beleuchtern, Tonmeistern und Technikern, die vom Zusammenbruch des Tors überrascht worden waren.
»Nun, ich befand mich noch im Besitz jener magischen Landkarte, die ich Ravenna in der Schmiede abgenommen hatte«, antwortete der Russe auf eine Frage des Interviewers. »Dank dieser Aufzeichnung war es ein Kinderspiel, sich in den Bergen zurechtzufinden. Wussten Sie, dass es natürliche Felstore gibt? Selbstverständlich muss man wissen, wie man mit einem solchen Portal reist. Es ist eine geheime Wissenschaft, die nur wenige Eingeweihte beherrschen. Zufällig bin ich einer von ihnen.«
Angeber, dachte Ravenna. Du hättest nicht mal das Tor in den Katakomben gefunden, wenn Lucian dich nicht mit der Nase auf die lateinischen Sprüche gestoßen hätte. Sie rutschte bis an die Bettkante vor und stellte die Füße auf den Boden.
»Was können Sie uns über den Zweikampf sagen, der in diesen Minuten unter dem Eiffelturm ausgetragen wird?«, fragte der Reporter. »Offenbar spart sich der Moderator des WizzQuizz die größte Überraschung bis zum Schluss auf.«
Mit offenem Mund beugte sich Ravenna vor. Der Reporter sprach jetzt zu seinem Publikum. »Wir stehen auf dem Champ de Mars, wo heute Abend wütende Protestkundgebungen stattfanden. In diesen Minuten demonstrieren noch immer Hunderte enttäuschter Zuschauer gegen das Ende der Show.«
Plötzlich wurde der Reporter angerempelt. Das Mikrofon fiel ihm aus der Hand. Mit hochrotem Kopf bückte er sich danach. Aufgeregte Menschen rannten ins Bild. Sie wollten zum Eiffelturm, den man im Hintergrund sah – ein dunkles Gestänge im Regen. Verkehrterweise waren es noch immer fünf Beine.
»Was passiert denn da?«, schrie ein Mann in die Kamera. »Geht die Show etwa doch noch weiter? Haben wir was verpasst?«
Der Reporter erschien wieder im Bild. Mit der flachen
Weitere Kostenlose Bücher