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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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Und es gab eine Flut von Kommentaren dazu. Wütenden Kommentaren.
    In der Aufnahme stand Beliar in der prallen Sonne, hatte die dunkle Brille auf die Stirn hochgeschoben. Ab und zu wehte eine ihrer Haarsträhnen ins Bild. Plötzlich begann ihr Herz zu pochen. Das war am Morgen auf dem Montmago gewesen. Kurz vor der Endrunde.
    »Ach ja, richtig: Yvonne«, sagte der Spielmacher gerade, ohne zu ahnen, dass er dabei aufgezeichnet wurde. Sie hatte die Kamera sorgfältig in der Kapuze des Hexenmantels versteckt. Der Ton war dementsprechend miserabel. Beliars Stimme klang verzerrt, und man hörte den Wind rauschen.
    »Du wirst nie wieder glücklich sein. Denn du hättest deine Schwester auf dem Gewissen. Du müsstest immer daran denken, dass Yvonne und ihr Baby starben, nur weil du nicht mitgespielt hast.« Schwarzblende. Das Bild sprang zurück auf Anfang. »Du wirst nie wieder glücklich sein«, drohte Beliar erneut. Vanessa hatte die Aufnahmen so zusammengeschnitten, dass er diesen Satz dreimal wiederholte – wie einen bösen Fluch. Erst dann lief die Aufnahme weiter.
    Ravenna stöhnte. »Großer Gott. Er wird mich hassen«, murmelte sie bestürzt. »Es ist vollkommen klar, dass ich das gefilmt habe. Beliar hasst mich.«
    » Das hat er zu dir gesagt? Er drohte dir beim Leben meines Sohnes und dem deiner Schwester?« Zorn verdunkelte Lucians Stimme. »Wann war das? Nachdem die Königswahl gescheitert war?«
    Ravenna schüttelte den Kopf. »Davor. Kurz bevor die letzte Runde begann.«
    Er musterte sie mit einem seltsamen Ausdruck. »Warum hast du nichts gesagt? Ich hätte … bei Morrigans Namen, ich schwöre, Beliar hätte nicht einmal mehr Zeit zum Luftholen gehabt.«
    Ravenna zuckte mit den Schultern. Sie starrte unentwegt auf die Aufnahmen. Schließlich erschien Vanessa im Bild und kommentierte die Aussage des Spielmachers von ihrem Studiosessel aus. Es fielen Worte wie unverzeihlich und kriminell.
    »Diese Drohung kann nur eines bedeuten: Monsieur Le Malin wusste die ganze Zeit über, wo Ravennas Schwester war«, rief sie entrüstet in die Kamera. »Er hat sie erpresst. Durch diese Drohung hat er seine Kandidatin gefügig gemacht!« Zuletzt schloss sich die Talkmasterin den Forderungen der Demonstranten an. »Diese Show gehört abgesetzt. Und Beliar Le Malin hinter Gitter.«
    Ravenna beugte sich zur Trennscheibe. »Haben Sie eine Ahnung, was Sie damit angerichtet haben?«, fragte sie mit belegter Stimme. »Beliar ist kein Mensch. Er verkleidet sich bloß als einer. In Wahrheit ist er der König aller Dämonen und Hexer. Der Teufel in Person. Haben Sie ihn mal durch das dritte Auge angeschaut? Ich glaube, Sie haben keine Vorstellung davon, was er jetzt tun wird.«
    »Ravenna«, sagte die Talkmasterin mit sanfter Stimme. »Ich kann verstehen, dass Sie Angst haben. Sie haben das ganz alleine durchgestanden. Kein Mensch ahnte etwas von dieser Erpressung, nicht einmal Ihr umwerfender Begleiter. Sie waren unglaublich tapfer. Sie haben weitergemacht, obwohl Beliar Ihnen quasi die Pistole auf die Brust setzte. Und das alles nur, um Ihre Schwester zu retten. Und da wundern Sie sich, dass die Leute von dieser Story begeistert sind? Das ist der Stoff, aus dem Legenden gemacht werden.«
    Ravenna atmete schwer. Sie gab das Smartphone zurück. Ihre Hände waren kalt und feucht. Beliar wird mich umbringen, dachte sie.
    Lucian legte ihr die Hand auf den Oberschenkel. »Wenn ich ihn diesmal erwische – und ich werde ihn erwischen …« Seine Finger ballten sich zur Faust. Er sprach nicht weiter.
    »Nein«, flüsterte Ravenna. »Es muss aufhören. Hörst du? Ich will nicht, dass noch mehr passiert. Es muss endgültig Schluss sein mit diesem Spiel.«
    Vanessa hatte ihren Wortwechsel gehört. Sie deutete auf den Menschenauflauf, der sich langsam, aber unaufhaltsam über die Pont de la Concorde schob. Ein Ende der Demonstration war nicht abzusehen. »Dazu ist es zu spät«, sagte sie. »Beliar hätte sich früher überlegen müssen, was er da tut. Denn nun sind die Hexen unglaublich wütend.«
    Das Taxi rollte langsam über die Brücke. Nachdem sie den Fluss überquert hatten, bog der Fahrer in den Boulevard Saint-Germain ein. Der ganze Platz vor dem Sendehaus war von einer demonstrierenden Menschenmenge bedeckt. Sprechchöre hallten von allen Seiten. Die Demonstranten riefen immer wieder: »Nieder mit Beliar! Weg mit dem Spielmacher! Er soll abtreten!«
    Ein Polizist kam zu ihnen und klopfte gegen die Scheibe. »Fahren Sie weg!«,

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