Tore der Zeit: Roman (German Edition)
stemmten sich die Polizisten, die das Funkhaus abriegelten, gegen den Druck der Massen.
»Was war das eben?«, zischte Lucian. »Zahlenmagie? Die Art von Hexerei, die Vadym benutzt?«
Ravenna schüttelte den Kopf. »Die Leute rufen das Rule of Three an«, stieß sie hervor. »Das Gesetz der magischen Vergeltung. Moderne Hexen glauben, dass man dreifach zurückbekommt, was man gegeben hat. In Beliars Fall wäre das: Verzweiflung, Angst und Tod. Das kann ich nicht zulassen!«
Das Atmen fiel ihr schwer. Die Luft flimmerte wie vor einem Ofen. Die Menschen in der Menge sammelten ihre Kräfte für einen erneuten Ruf. Auch das Stampfen und Klatschen setzte wieder ein.
»Schluss damit!«, schrie Ravenna.
Plötzlich tauchte Vanessa neben ihr auf. Die Talkmasterin hatte ein zweites Mikrofon ergattert und reichte es ihr. Dann wandte sie sich an die Kameras.
»Hier spricht Vanessa Chanterel von Kanal 5. Wir berichten soeben live vom Boulevard Saint-Germain. Seit gestern Nacht hat sich hier eine Menschenmenge versammelt, um gegen die Entscheidung des Senders zu protestieren. Offensichtlich hat Beliar Le Malin, der Erfinder, Produzent und Gastgeber der Show, das WizzQuizz bewusst manipuliert. In diesen Minuten sind Ravenna und ihr Begleiter Lucian exklusiv bei mir. Ravenna, wie geht es Ihrer Schwester?«
Ravenna schaltete ihr Mikro ein und trat an die Kante des Treppenabsatzes.
»Könnt ihr mich jetzt hören?«, rief sie. »Versteht ihr, was ich sage?«
Ein Lautsprecher auf der Terrasse des Funkhauses schrillte. Sie zuckte zusammen – so laut schallte ihre Stimme über den Platz.
»Hört sofort mit diesem gefährlichen Unsinn auf! Ich will nicht, dass Beliar dreifach vergolten wird, was er mir angetan hat.«
Ihre Finger schwitzten am Griff des Mikrofons. Die bunte Hexe ließ ihren Rasselstock sinken. Die Jungen und Mädchen hörten mit dem Herumtrampeln auf den Motorhauben auf.
»Ich kann verstehen, dass ihr wütend seid«, rief Ravenna den Menschen zu. »Gestern Abend, als die Show vorbei war, da war auch ich wahnsinnig enttäuscht. Aber ich kann euch versichern, dass jetzt alles gut ist. Yvonne und ihr kleiner Sohn sind wohlauf. Lucian ist hier. Es ist also alles in Ordnung.«
»Wie kannst du so etwas sagen?«, schrie ihr eine große, schlanke Magierin zu. Sie trug einen zerknitterten, grünen Hosenanzug und hatte sich die Hände mit Henna bemalt. »Beliar muss verschwinden. Eher gehen wir hier nicht weg!«
Die Umstehenden stimmten ihr zu.
»Jetzt beruhigt euch doch mal!«, rief Ravenna. »Wir besitzen unsere Gabe nicht, um anderen Menschen Schaden zuzufügen.«
Die hennarote Magierin schlug unentwegt auf ein Tamburin. Aufgebracht reckte sie drei Finger in die Luft. »Threefold«, schrie sie. »Als Beliar dich in Gefahr brachte, brachte er eine von uns in Gefahr!«
»Threefold!«, brüllten die Jugendlichen auf dem Autodach. Der Ruf pflanzte sich wie ein Lauffeuer fort. »Threefold!«, brüllten die Hexen.
Nervös wischte Ravenna die Hand an ihrer Jeans ab. »Ich bin diejenige, der Beliar Schaden zugefügt hat. In Ordnung? Also regle ich das. Lucian und ich gehen jetzt in das Gebäude und reden mit den Verantwortlichen. Ihr wartet hier draußen. Ihr werdet nichts unternehmen, bis ich wieder zurück bin.«
Man antwortete ihr mit einem Murren. Die Leute schienen unzufrieden.
»Ich glaube, wir alle sind derselben Meinung: Ravenna verdient den Preis.« Mit diesen Worten wandte sich Vanessa Chanterel an die Menge. »Und genau das werden wir dem Medium jetzt sagen. Aber Ravenna hat recht: Ihr wartet hier und gebt uns eine halbe Stunde Zeit. Hört ihr? Wir brauchen bloß eine halbe Stunde.«
Die Unruhe legte sich etwas. Die Leute fingen an, über das Gehörte zu diskutieren.
»Danke. Das war knapp«, ächzte Ravenna.
»Komm jetzt«, raunte Lucian. Er fasste sie am Arm und zog sie zum Eingang. »Es ist immer noch gefährlich. Die Stimmung könnte jeden Augenblick kippen.«
Vanessa und die beiden Kameraleute folgten ihnen. Ravenna hatte nichts dagegen – so konnten die Leute auf der Leuchtwand verfolgen, was geschah. Das Medium eilte ihnen hinter der Scheibe entgegen. Die Hände der kleinen Wahrsagerin zitterten, als sie die Tür entriegelte.
»Kommt rein! Schnell!«
Sie ließ auch Vanessa und das Filmteam eintreten. Dann sperrte sie die Tür wieder zu.
»Vielen Dank«, sagte sie zu Ravenna. »Danke, dass du diesen Mob aufgehalten hast. Wir wussten wirklich nichts von Beliars Plänen. Das schwöre
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