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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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befahl er dem Taxifahrer. »Sie dürfen hier nicht stehen bleiben. Das ist eine öffentliche Kundgebung.«
    »Wir haben einen Termin im Funkhaus«, behauptete Vanessa Chanterel. Sie reichte ihre Visitenkarte durchs Fenster.
    Ravenna lehnte sich nach vorne. »Haben wir? Ehrlich?«
    Der Polizist erkannte sie. Plötzlich wurde er ganz umgänglich. Er schob den Arm zum Fenster herein und wollte ihr die Hand schütteln. Lucian beobachtete die Begegnung wachsam. Die unverletzte Hand lag auf dem Schwertgriff. Cor lehnte unauffällig zwischen ihnen im Fußraum.
    »Meine Frau und ich haben keine Folge des WizzQuizz verpasst«, schwärmte der Polizist. »Monique hat eine Gabe, wissen Sie? Manchmal träumt sie … also, das ist ganz schön unheimlich: Aber in ihren Träumen sieht meine Frau bestimmte Ereignisse voraus. Sie wusste zum Beispiel schon eine Woche vor der Wahl, wer der neue Staatspräsident wird.«
    »Ach«, machte Ravenna.
    Der Polizist nickte. »Wenn ich es Ihnen sage: Ich habe eine Hexe geheiratet. Bei uns ist es allerdings anders als bei Ihnen und Ihrem Begleiter. Ich habe absolut kein magisches Talent.«
    Der Beamte warf Lucian einen Blick zu. Der nickte freundlich. Ein gefährlicher Schwertkämpfer, der sich nicht in die Karten schauen ließ, dachte Ravenna.
    »Würden Sie dafür sorgen, dass wir weiterfahren können?«, fragte sie.
    »Bitte warten Sie einen Moment«, sagte der Polizist zu dem indischen Taxifahrer. Er ging zu seinem Dienstmotorrad, schwang sich in den Sattel und ließ die Sirene aufheulen. Dann setzte sich das Motorrad vor das Taxi. Mit eingeschaltetem Blaulicht warnte der Fahrer die Demonstranten. Eine Gasse bildete sich. Langsam rollten sie auf das Funkhaus zu.
    »Eine Eskorte. Das wurde aber auch Zeit.«
    Zufrieden lehnte Lucian auf der Rückbank. Der verletzte Arm ruhte in einer schwarzen Schlinge, den anderen Arm hatte er über der Lehne ausgestreckt.
    Ravenna betrachtete ihn erstaunt. Dann begriff sie: Die Aufregung in den Straßen von Paris war überhaupt nichts Ungewöhnliches für ihn. Jahrelang war er der Vertraute und Unterhändler des Königs gewesen. Er und Ramon hatten Constantin zu unzähligen Treffen mit fremden Fürsten und aufständischen Grafen begleitet, hatten ihm Geleitschutz gegeben und ihm bei Tisch aufgewartet. Öffentliche Auftritte ließen Lucian völlig kalt.
    Kein Wunder, dachte Ravenna neidisch. Sein ganzes Leben lang war er darauf vorbereitet worden, eines Tages selbst Anführer der Hexenritter zu werden. Ob er die Königswürde nun annehmen wollte oder nicht – die Seelenruhe, mit der er die Demonstranten musterte, ließ keinen Zweifel daran, dass er ausgezeichnet für dieses Amt geeignet war.
    Nervös rieb sie sich das Knie. Ihre Haut juckte vor Aufregung. Sie wagte kaum aus dem Fenster zu blicken, aus Angst, dass man sie erkannte. Die Menge wurde immer dichter. Schließlich stoppte der Polizist das Motorrad. Auch das Taxi bremste und blieb stehen.
    Mit klopfendem Herzen stieg Ravenna aus. Rund um das Funkhaus hatten sich unzählige Hexen und Magier versammelt. Wütend umzingelten sie das Gebäude und schrien ihre Forderungen zu den undeutlichen Gestalten hinter den Fensterscheiben hinauf. Im Foyer des Sendehauses gingen nervöse Angestellte auf und ab. Auf der Leuchtwand über der Terrasse waren Ausschnitte der Demonstrationen zu sehen. Offenbar hatte der Sender dem Druck nachgegeben und berichtete nun selbst über die hausgemachten Probleme.
    Sie zwängte sich durch die Menge. Vanessa und Lucian blieben dicht hinter ihr. Eine bunte Hexe rasselte mit einem Regenmacher und tanzte barfuß auf dem Pflaster. Ravenna nannte sie in Gedanken so, weil die Magierin unglaublich viele verschiedenfarbige Röcke übereinandertrug. Am linken Knöchel hatte sie ein Tattoo von einer schwarzen Katze. An ihrem Haarband hingen Glöckchen.
    Vor der Treppe, die zum Eingang des Sendehauses führte, hielt sich eine Gruppe Spiritisten an den Händen gefasst. Mit geschlossenen Augen wiegten sie sich summend vor und zurück. Männer wie Frauen trugen weite Kittel und Perlenarmbänder. Ein paar Meter daneben veranstalteten junge Leute ein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert. Einige von ihnen waren auf Autodächer und Kühlerhauben geklettert und filmten die Menschenmenge mit ihren Handys. Die Internet-Fangemeinde, dachte Ravenna beklommen. Die werden die Handyfilmchen sicher gleich im Netz hochladen.
    Schnell drehte sie den Jugendlichen den Rücken zu. Da entdeckte sie eine Gruppe von

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