Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
Vom Netzwerk:
Entscheidung«, sagte Ravenna leise. »Glaub mir, wir beide können sehr gut damit leben. Also können Ramon und du das auch.«
    Sie umarmte Norani. Der Körper der Wüstenhexe war dünn und unglaublich zäh. Ihre Haut strahlte Hitze ab wie ein Felsen in der Sonne. Als würde man eine Eidechse umarmen, dachte Ravenna.
    »Ramon!«, rief Morrigan zum dritten Mal. Ihr Erlenstab pochte auf das Podest.
    Norani löste sich aus Ravennas Armen und folgte ihrem Gefährten zur Tribüne. Applaus brandete auf, als das Paar endlich neben Morrigan erschien.
    »Ramon aus Marseille, seit Langem Ritter auf Burg Landsberg«, rief die Hexengöttin. »Du hast deinem König viele Jahre treu gedient. Du wachst über die Einhaltung der magischen Gesetze und bist deiner Gefährtin in Liebe zugetan. Deine Freunde vertrauen dir. Das sind hervorragende Eigenschaften für einen König. Deshalb frage ich dich, ob du die Wahl annimmst.«
    Ramon murmelte eine Antwort, die nicht zu verstehen war. Morrigan brachte das Ohr zu seinem Mund und ließ sich die Worte wiederholen. Ihre Miene war nicht zu deuten. Ramon wirkte angespannt. Norani an seiner Seite hielt sich dagegen kerzengerade. Sie musterte die Menge. Ab und zu warf sie einen Blick auf Ravenna. Um ihren Mund lag ein Lächeln, das zuvor noch nicht da gewesen war.
    Nach dem kurzen Wortwechsel mit Ramon bückte Morrigan sich und hob den Kelch erneut auf. Ravenna erwartete, dass sie das Paar auf der Tribüne nun einen Zug aus dem Gefäß trinken lassen oder sie irgendwie mit Magie besprengen würde.
    Stattdessen warf Morrigan einen zweiten Blick in die Schale und sagte: »Lucian.«
    Die Überraschung durchzuckte Ravenna wie ein elektrischer Schlag. Ein Raunen erhob sich unter den Zuschauern. Der Graf de Barca stand unwillkürlich auf. Seine Soldaten rückten dichter um ihn zusammen. Die Waffengehänge klirrten, dass es bis zum Podest zu hören war.
    Als Lucian keine Anstalten machte, ihrem Ruf zu folgen, hob Morrigan fragend die Augenbrauen.
    »Komm. Komm schon – wir müssen gehen«, wisperte Ravenna. Sie stieß ihren Ritter an. Er bewegte sich nicht.
    »Ich bin nicht geeignet«, murmelte er. »Schau dir die Leute an – sie wissen es. Sie werden nie vergessen, woher ich komme. Sie werden mir meine Abstammung niemals verzeihen. Wenn sie mir ins Gesicht blicken, werden sie immer nur Velasco sehen.« Er fröstelte unter dem schweren Mantel. »Ich eigne mich nicht als König. Niemand will mich hier haben. Und ich will auf keinen Fall noch eine Stichwahl mit Ramon austragen.«
    Ravenna legte die Hand an seine Wange und drehte seinen Kopf in ihre Richtung. »Ich sehe nur dich«, flüsterte sie. »Nur dich, Lucian. Velasco ist fort. Er ist weg, tot – du hast ihn endgültig vertrieben. Ich weiß das ganz sicher, denn ich war dabei. Warum überlässt du diese Entscheidung also nicht einfach Morrigan?«
    Wieder schauderte er und schüttelte den Kopf. In das Stimmengewirr mischten sich nun die ersten Protestrufe. Immer mehr Grafen und Barone erhoben sich.
    »Der Sohn des Hexers darf auf keinen Fall König werden!«, rief Ferran de Barca. »Das lassen wir nicht zu.«
    »Ruhe!«, schrie der Jäger Diego. »Er setze sich wieder hin, der Herr, und warte auf die Entscheidung der Hexen.«
    »Wir unterwerfen uns dieser Entscheidung nicht!«, bellte der Graf. »Niemals.«
    Drohend legte er die Hand auf den silbernen Schwertgriff. Die Kinder am Tor unterbrachen ihr Spiel. Erschrocken starrten sie die Bewaffneten an. Der unförmige Ball rollte in eine Ecke und blieb liegen.
    »Los jetzt«, zischte Josce. »Ihr müsst auf das Podest steigen. Egal, wer von euch König wird: Wir brauchen einen neuen Anführer und wir brauchen ihn jetzt – bevor der Waffenstillstand mit den Rebellen in die Brüche geht.«
    Steif setzte sich Lucian in Bewegung. Der Mantel fegte hinter ihm über die Stufen, der Griff des Schwertes Cor ragte über seiner Schulter auf. Ravenna folgte ihm dicht auf den Fersen. Ihr Herz klopfte vor Aufregung.
    »Wie ich hörte, gab es einen Wettkampf um die Krone«, stellte Morrigan fest, als sie alle vorne an der Bande standen – sie und Lucian auf der einen, Norani und Ramon auf der anderen Seite. Auf dem Podest war es so kalt wie in einer Eishöhle.
    »Einen Wettlauf wegen eines Rings. Und du hast ihn gewonnen, mit der Verzögerung von einigen hundert Jahren.« Die Hexengöttin schaute Lucian an.
    »Es war kein echtes Rennen«, murmelte der junge Ritter. In Morrigans Nähe gefror sein Atem. »Ich

Weitere Kostenlose Bücher