Tore der Zeit: Roman (German Edition)
wie er beim Klang seines Namens zusammenzuckte. Sämtliche Farbe wich aus seinem Gesicht. Erst blickte er Norani an, dann schaute er zu Lucian hinüber.
»Ramon«, rief Morrigan wieder. »Oder möchtest du vielleicht nicht König werden?«
Einzelne Lacher erklangen. Ein junger Bursche pfiff auf den Fingern – der Lockenschopf, der Lucian an jenem schneereichen Morgen herausgefordert hatte. Der junge Barde saß bei den Knappen des Ritterordens. Die Mienen des Grafen de Barca und seiner Begleiter blieben jedoch versteinert.
Plötzlich begriff Ravenna, weshalb Ramon seinen Platz so zögerlich verließ. Wenn seine Krönung die Grafen nicht zufriedenstellte, würde es im Reich der Hexen keinen Frieden geben. Dann sah sich der junge König bereits am ersten Tag seines Amts Aufständischen und einer weiteren Rebellion gegenüber.
Statt zum Podest ging Ramon jedoch um den Stern herum. Vor Lucian blieb er stehen.
»Es tut mir leid«, sagte er. »Damit habe ich nicht gerechnet. Wirklich nicht. Du hättest die Krone viel eher verdient als ich.«
»Es ist gut so, Ramon«, gab Lucian zurück. »Glaub mir, Constantin wäre stolz auf dich. Und nun geh und lass dich feiern.«
Er umarmte seinen Freund und klopfte ihm auf den Rücken. Ramon erwiderte die Umarmung, wollte Lucian gar nicht mehr loslassen. Vielleicht dachte er an den Morgen auf dem Montmago, an seine hässlichen Abschiedsworte. Er hatte Tränen in den Augen.
Ravenna schaute zu Norani hinüber. Die Wüstenhexe starrte auf den Stern aus Sägemehl. Ihr Gesicht war so angespannt, dass es wie eine Maske wirkte. Da verließ Ravenna den Kreis und ging zu der Wüstenhexe.
»Ich wünsche euch beiden viel Glück«, sagte sie. »Ehrlich, das ist großartig. Ramon und du, ihr seid jetzt die Anführer der Sieben. Morrigan hat eine gute Wahl getroffen.«
Unter der gebräunten Haut wurde Norani noch eine Spur dunkler. Sie schaute Ravenna nicht an. Plötzlich fragte Ravenna sich, ob Norani mit der Entscheidung der Hexengöttin einverstanden war. Als Ramon die Nachfolge des Ritters Tade antrat, war sie bereits auf dem Weg in ihre ferne, sonnige Heimat gewesen. Der Zirkel der Sieben hatte sie auf den Hexenberg zurückgerufen.
»Wir haben einen Fehler gemacht«, stieß Norani endlich hervor. »Einen dummen … unverzeihlichen Fehler. Am Tor, da hätten wir merken müssen, worauf das Ganze hinausläuft. Wir hätten euch beide besser kennen müssen. Statt euch Vorwürfe zu machen, hätten wir … wir hätten euch bei diesem Wettkampf unterstützen müssen. Das tun Freunde nämlich füreinander.« Die grünen Katzenaugen richteten sich auf sie.
»Nein«, sagte Ravenna leise. »Ihr habt richtig entschieden. Sonst wärt ihr tatsächlich auf zwei Schwarzmagier hereingefallen. Alles, was du auf dem Montmago gesagt hast, ist wahr, Norani: Ich habe die ganze Nacht bei Elinor verbracht. Sie hat mir gezeigt, wie man einen Bannfluch rückgängig macht und ein verfluchtes Tor schließt. Niemand sonst hätte mir das zeigen können. Verstehst du? Die Hexe vom Hœnkungsberg war meine letzte Rettung.«
Norani blähte die Nasenflügel. »Wirklich? Ich habe mich also nicht getäuscht? Ich dachte nämlich schon, ich spinne. Aber das Gefühl, dass jemand in der Runde … dass du Schwarzkunst gewirkt hast, war so stark.«
»Du hast dich nicht getäuscht«, gestand Ravenna. »Die weiße Feder, die aus meinem Umhang fiel, stammte von Elinors Raben. Und was Lucian angeht: Mein Ritter besitzt tatsächlich eine dunkle Gabe. Aber er geht sehr vorsichtig damitum. Er weiß genau, was er tut, wenn er Acencræft benutzt.«
Norani schüttelte so heftig den Kopf, dass ihr Schmuck klirrte. »Was habt ihr euch eigentlich dabei gedacht? Uralte magische Gesetze … pffft. Einfach weggewischt. Die Ordnung des Konvents – auf den Kopf gestellt! Und was machen wir jetzt?«
Ravenna zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich fürchte, ich habe gar nichts gedacht. Ich hatte einfach nur Angst.«
Norani musterte sie. Dann ballte sie die Fäuste. So aufgewühlt hatte Ravenna ihre Freundin noch nie erlebt. »Eines muss ich zugeben: Lucian hat die Wahrheit in dem Augenblick erkannt, als alle anderen blindlings auf das Tor zugerannt sind. Zum Glück hielt er Ramon auf, denn sonst stünde jetzt sein Vater auf diesem Podest, und wir alle wären Sklaven des Hexers. Was ich damit sagen will: Es ist nicht richtig, dass er nun bei der Königswahl übergangen wird. Es ist einfach nicht richtig.«
»Es ist Morrigans
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