Tore der Zeit: Roman (German Edition)
Manteltaschen vergraben. Ihre Atemzüge dampften in der Kälte. »Sie werden sicher verstehen, dass wir im Augenblick keine Lust haben, den Presseleuten dort gegenüberzutreten. Gibt es eine Hintertür, durch die wir verschwinden können?«
Sofort hellte sich das Gesicht des Concierge auf. »Selbstverständlich. Bitte folgen Sie mir!«
Während er Ravenna und Lucian durch die Hotellobby begleitete, wanderte sein Blick diskret zu dem Koffer, den Lucian trug. »Sie werden es also heute versuchen? Den alchemistischen Koffer öffnen, meine ich?«
Ravenna staunte. Der Empfangschef sah nicht gerade aus wie jemand, der abends die Füße hochlegte und das Quiz der Zauberer anschaute. »Doch, doch, wir alle haben es gesehen«, nickte er. »Im Aufenthaltsraum steht ein Fernseher. Wir sind sehr stolz darauf, dass Sie unsere Gäste sind.«
Ravenna spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. »Danke«, murmelte sie. »Aber das war doch nichts. Nur eine Rateshow.«
Der Concierge räusperte sich. »Wie Sie Lucian und die rothaarige Hexe aus den Glaszylindern befreit haben – das war bemerkenswert. Und nun der alchemistische Koffer. Es kommt nicht allzu häufig vor, dass jemand ein unkalkulierbares Risiko wählt, wenn hunderttausend Euro in Reichweite sind. Noch dazu, um Ihrer Schwester zu helfen. Sie sind zu beneiden, junger Mann.«
Das Letzte sagte er zu Lucian. Ravenna warf ihrem Ritter einen raschen Blick zu.
»Sicher«, brummte Lucian. »Alles nur wegen Yvonne.«
Es war das erste Mal, dass sie ihn lügen hörte. Sie brauchten die Tore genauso dringend seinetwegen – um ins Mittelalter zurückzukehren. Ins dreizehnte Jahrhundert, in dem Lucians Weggefährten und Freunde, sein König, sein Pferd, seine ganze Welt zurückgeblieben waren. Wenigstens ein funktionsfähiges Tor mussten sie finden, einen Durchgang, der nicht verflucht oder eingestürzt war. Oder Lucian saß für immer in der Gegenwart fest.
Der Concierge führte sie einen langen, mit weinrotem Teppich ausgelegten Gang entlang. An dessen Ende stieß er eine gläserne Tür für sie auf. »Sie werden erwartet«, verkündete er.
Verblüfft starrte Ravenna auf die Stretchlimousine, die mit laufendem Motor vor dem Hinterausgang des Hotels stand. »Ich … wir … die warten auf uns ?«
»Wir haben vorhin einen Anruf erhalten. Der Wagen soll Sie abholen.« Der Empfangschef öffnete die Autotür.
»Aber …«, protestierte Ravenna. Nach einer Spazierfahrt mit dem Teufel war ihr ganz und gar nicht zumute – und wer sonst ließ sich in einem solchen Gefährt durch Paris kutschieren?
»Von hier aus werden Sie zum heutigen Schauplatz gebracht«, erklärte der Concierge. »Viel Glück, Ravenna. Wir drücken Ihnen die Daumen.«
Mit klopfendem Herzen stieg sie ein. Lucian widersprach nicht – im Gegenteil. Er rutschte neben sie auf den Sitz und legte den Koffer auf die Knie. »Was ist das für ein Geruch?«, fragte er.
»Sandelholz, Myrre und Kopal«, antwortete eine dunkle Stimme. »Der Rauch hilft mir, die Dinge klarer zu erkennen.« Aus dem Aschenbecher stiegen feine, blaue Wolken auf. Nach einigen Atemzügen hatte sich Ravenna an das schwindelerregende Aroma und an die schwache Helligkeit im Fond der Limousine gewöhnt. Das Medium saß ihr und Lucian gegenüber. Das Mädchen mit den wilden Afrolocken hielt das Hexenbrett auf den Knien.
»Guten Morgen. Ich hoffe, ihr habt gut geschlafen«, sagte sie und schob sich die Brille höher auf die Nase. »Zumindest will ich das hoffen, denn der Dreh heute wird sicher kein Spaziergang. Ich habe hier die Spielregeln der zweiten Runde des WizzQuizz.«
Ravenna öffnete den Mund, doch ehe sie eine Bemerkung machen konnte, wurde sie von der Beschleunigung in den Sitz gedrückt. Die Limousine raste aus der Einfahrt des Hotels und fuhr an den verblüfften Journalisten vorbei.
»Nummer eins«, rief das Medium und schüttelte das Zauberbrett. Der Zeiger schnellte auf die Rune Publizität. »Was immer ihr unternehmt, sollte möglichst in der Öffentlichkeit stattfinden. Schließlich ist das eine Fernsehshow. Was ihr auf den Straßen von Paris so treibt, wird gefilmt und abends als Zusammenfassung gesendet. Sobald der alchemistische Koffer geöffnet ist, übertragen wir wieder in voller Länge.«
»Das ist nicht wahr«, rutschte es Ravenna heraus. »Wir werden von jetzt an dauernd beobachtet?«
Das Medium nickte. »Außer im Hotel und in diesem Wagen seid ihr im Fokus der Kameras. Wir schneiden das meiste, aber natürlich
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