Tore der Zeit: Roman (German Edition)
dem Champ de Mars, jenes Parks, in dem das Pariser Wahrzeichen aufragte.
Ravenna war beim Anblick des Turms völlig aus dem Häuschen geraten. Lucian dagegen sah nichts weiter als einen mächtigen Stahlturm, der seine Pfeiler weit gespreizt in die Spitzen eines Pentagramms setzte. Der Hexenstern unter dem Eiffelturm war sorgfältig aus Kieswegen gestaltet und von Blumenbeeten umgeben. Tagsüber standen die Besucher dort Schlange. Verliebte Pärchen tummelten sich auf den verschneiten Rasenflächen, und Touristen spazierten am Ufer der Seine.
» Fünf Pfeiler!«, hatte Ravenna jedoch ausgerufen, als sie zum ersten Mal auf den Balkon trat. »Fünf Beine, Lucian! Der Eiffelturm, den ich kannte, hatte bloß vier Pfeiler. Und von einem Pentagramm war weit und breit nichts zu sehen.«
»Was stört dich daran?«, fragte er. »Ich finde es ganz hübsch. Es sieht aus, als hätte hier jemand ein gewaltiges Leitsystem errichtet, das den magischen Strom zur Erde lenkt. Eigentlich eine großartige Idee.«
Aber Ravenna konnte es selbst dann nicht fassen, nachdem sie das Bauwerk am Morgen nach ihrer Ankunft umrundet hatten und mit dem Fahrstuhl zu den drei übereinanderliegenden Aussichtsplattformen gefahren waren. Auf jeder Plattform schritt sie die Kanten ab, um sich zu vergewissern, dass es sich wirklich um ein Fünfeck handelte. Jedes Mal lachte sie dabei und schüttelte gleichzeitig den Kopf. Und so wurde der Turm von Paris für seine Hexe zum Inbegriff all jener seltsamen Veränderungen, die sich seit ihrer letzten Reise ins Mittelalter ereignet hatten.
In den Frotteemantel gewickelt, kam Ravenna aus dem Bad. In der spiegelnden Fensterscheibe sah Lucian, dass sie ihn mit gerunzelter Stirn betrachtete. Dann kam sie zu ihm auf den Balkon und schmiegte ihren vom Duschen erhitzten Körper gegen seine kühle Haut.
»Tut mir leid«, murmelte sie, während das Funkeln des Eiffelturms langsam verblasste. Schließlich ragte das Bauwerk wieder tiefblau erleuchtet in die Nacht. »Ich hätte vorhin nicht so aufbrausen sollen. Manchmal macht es mir zu schaffen, dass wir uns nur noch um meine verschollene Schwester kümmern. Für uns selbst finden wir gar keine Zeit mehr und dabei sind wir in Paris! In der Stadt der Liebe. Schließen wir also Frieden?«
»Wir brauchen keinen Frieden miteinander zu schließen«, murmelte Lucian. »Ihr seid die Hexe, die mein Schwert geweiht hat. Die Sieben waren Zeugen, als ich Euer Gefährte wurde und schwor, Euch mit meinem Leben zu beschützen.«
»In dieser und in deiner Welt«, hauchte Ravenna.
Manchmal war die Anrede aus dem Mittelalter doch die angemessenste Art und Weise, eine Hexe anzusprechen, fand Lucian. Ravenna fasste ihn an der Hand und zog ihn zurück ins Zimmer. Mit einem Schubs schloss sie die Balkontür und ging rückwärts vor ihm her bis zum Bett. Dort löste sie den Knoten des Bademantelgürtels. Der BH war verschwunden, ebenso das Höschen aus schwarzer Seide.
»Können wir da weitermachen, wo wir vorhin aufgehört haben?«, flüsterte sie, während sie nach dem Lichtschalter tastete. Weiche Dunkelheit füllte das Zimmer aus. »Bitte.«
Sanft streifte Lucian ihr den Stoff von den Schultern. Der Mantel fiel raschelnd zu Boden. Er ließ seine Hand über ihren schlanken Rücken gleiten, bis er ihren Po umfasste. Sie antwortete seinem Drängen, indem sie den Mund auf seinen presste, die Lippen öffnete und ein Bein um seine Hüfte schlang. Als er zögerte, ließ sie sich rückwärts auf das Bett sinken und zog ihn mit sich. Lucian versetzte dem störenden Koffer einen Stoß, sodass das Ding von der Decke rutschte und polternd zu Boden fiel.
Sie küssten sich lange und zärtlich, und sein Herz begann zu pochen, als wäre es das erste Mal, dass sie beieinanderlagen. Anschließend führte Ravenna ihn in die süßen, sinnlichen Zonen ihres Körpers, und er folgte ihr bereitwillig, denn sie wusste ganz genau, was ihnen beiden Genuss bereitete. Sie liebten sich leidenschaftlich, wortlos und umhüllt vom blauen Leuchten des Eiffelturms, und als Lucian anschließend seinem eigenen Blick im verschatteten Spiegel über dem Bett begegnete, war jede Ähnlichkeit mit dem Hexer von Carcassonne verschwunden.
Zweifellos – Ravenna war eine Hexe. Sie war die größte Zauberin, der er je begegnet war.
Hexenmarkt
Der nächste Morgen begann mit strahlendem Sonnenschein. Gut gelaunt nahm Ravenna das Frühstück ein, eine große Tasse Milchkaffee und eine Brioche. Ihre fröhliche
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