Tore der Zeit: Roman (German Edition)
brauchen wir ein paar spektakuläre Bilder. Ist das ein Problem?«
Das Letzte sagte das Medium in einem Tonfall, der Ravenna zusammenzucken ließ. »N… nein«, stammelte sie.
Wieder rückte das Mädchen die Brille zurecht. »Schön«, sagte sie. »Im Grunde ist es ganz einfach: Unsere Zuschauer warten gespannt darauf, ob ihr herausfindet, wie man den Koffer öffnet. Die Show hat gestern ganz ordentliche Einschaltquoten erhalten. Endlich wurde Vadym abgesetzt. Der Koffer enthält eure nächste Aufgabe. Der Inhalt verrät euch, wie es weitergeht. Selbstverständlich lauern eure Gegner nur darauf, euch den Preis wieder abzujagen.«
»Deren Glückwunschkarte haben wir jedenfalls schon bekommen«, brummte Ravenna. Es gefiel ihr nicht, wie der Sender den gesamten Ablauf plante. Denn im Grunde steckte immer nur Beliar dahinter.
»Ich frage mich allerdings, was Lucian damit zu tun hat. Schließlich habe ich mich für das Quiz beworben, nicht er«, beschwerte sie sich.
»Hast du den Vertrag nicht durchgelesen, bevor du unterschrieben hast? In der zweiten Runde darf jeder Kandidat einen Begleiter haben«, klärte das Medium sie auf. »Und nun sieh dir Lucian an: Ist er nicht perfekt?« Das Mädchen berührte das Brett, und der Zeiger zitterte zwischen Charisma und Desaster. »Ein Mann mit Ausstrahlung. Ein Schönling mit einem dunklen Geheimnis. Genau das interessiert die Leute.«
»Meine Geheimnisse gehen niemanden etwas an«, knurrte Lucian.
Die Kleine rollte mit den Augen. »Ich bin ein Medium, schon vergessen? Vor mir kann man keine Geheimnisse haben. Ich habe zum Beispiel erfahren, dass ihr beide heute Abend bei Vanessa zu Gast sein werdet. Ausgezeichnet! Das ist genau die Art von Publicity, die wir brauchen.«
Ravenna ließ sich in das Lederpolster sinken und schloss die Augen. Ihre Lage musste tatsächlich verzweifelt sein, wenn sie sich auf diese Bedingungen einließ. Um einiges verzweifelter, als sie selbst ahnte.
Leider hatte das Medium recht: Sie hatte vor ihrem Auftritt einen Vertrag unterschrieben. Und das Papier nur bis zu dem Paragraphen durchgelesen, in dem es um das Ende der ersten Runde ging. Der Sieger darf den Hauptgewinn sofort mitnehmen. Hätte sie sich doch nur daran gehalten!
»Gestern Abend gingen bei der Hotline über zweihundert Hinweise ein. Ein Dutzend Personen wollen Yvonne gesehen haben«, berichtete das Medium. Offenbar konnte die Kleine tatsächlich Gedanken lesen. Ravenna öffnete die Augen einen Spalt breit und funkelte das Mädchen an. Der Zeiger zuckte über die Rune Motivation. »Ach ja?«
»Meistens sind es die üblichen Spinner. Wahrsager und Propheten, die das Ende der Welt kommen sehen und irgendwas von einer Reiterin im roten Kleid faseln. Auf einem Pferd mit lodernder Mähne. Das muss man sich mal vorstellen. Aber es waren auch zwei oder drei ernstzunehmende Anrufe dabei.«
»Tatsächlich«, flüsterte Ravenna. Plötzlich war ihr Mund ganz trocken. Unauffällig schob Lucian seine Hand über ihre. Eine Reiterin auf einem Pferd mit Funkenschweif – genau so hatte sie ihre Schwester zum letzten Mal gesehen. Das war im Jahr 1253 gewesen.
»Wie dem auch sei: Beliar sammelt diese Hinweise und wertet sie aus. Wenn etwas Interessantes dabei ist, lässt er es euch wissen«, sagte das Medium.
»Sicher«, murmelte Ravenna. »Ganz bestimmt tut er das.« Beliar Le Schlitzohr. Der Produzent und Erfinder des WizzQuizz. Plötzlich wusste sie ganz genau, worum es in diesem Wettkampf ging: Beliar nutzte ihre Schuldgefühle und ihre Sehnsucht nach Yvonne aus. Er wusste ganz genau, womit er sie erpressen konnte.
»Nur so aus Neugier«, fragte sie. »Was passiert eigentlich, wenn ich aussteige? Das Handtuch werfe und das Quiz verlasse, meine ich.«
Das Medium fixierte sie. So lange, bis das Schweigen im Innenraum des Wagens unangenehm wurde.
»Du würdest die Show also ruinieren?«, fragte das Mädchen mit den wilden schwarzen Locken. »Nun, ich schätze, dann wird man euch die Kosten in Rechnung stellen. Das Hotel. Den Limousinenservice. Mal abgesehen vom Drumherum im Hintergrund. Du kannst dir nicht vorstellen, was wir in die Preproduction investiert haben. Allein die Suche nach den passenden Schauplätzen …«
Rasch hob Ravenna die Hand. »Schon gut! Ich habe verstanden. Uns bleibt also keine Wahl: Entweder wir spielen mit oder wir sind ruiniert. Und zwar für den Rest unseres Lebens.«
Das Medium zuckte die Achseln. »Für eine Entscheidung ist es allerdings zu spät. Wir sind
Weitere Kostenlose Bücher