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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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als der Hexer an ihr vorbeiging. »Das hast du versprochen.«
    Velasco fasste sie am Arm und zog sie mit sich. »Ich will meinem Sohn in die Augen sehen, wenn ich ein paar Takte mit ihm rede. Dazu habe ich doch wohl das Recht. Ich hätte weder meine Burg noch meine Ländereien verloren, wenn mir Lucian damalsnicht in den Rücken gefallen wäre. Er hat den Kriegern des Königs heimlich das Einfallstor geöffnet – mein nichtsnutziger, rotznäsiger Sohn. Glaubst du etwa, Constantin hätte mich sonst zwingen können, den Kopf unter das Richtschwert zu legen?«
    Yvonne keuchte. »Aber er war doch erst acht!«
    »Und wenn schon«, fauchte Velasco. »Lucian hätte seine Bestimmung erfüllen sollen. Stattdessen zog er Ungehorsam und Aufsässigkeit vor. Soll er nun sehen, was er davon hat.« Velasco führte sie in Richtung Treppe. »Mach dir keine Sorgen, Yvonne. Dir geschieht nichts. Von dir erwarte ich nur, dass du das Kind heil zur Welt bringst.« Er grinste. »Meinen Enkelsohn.«
    Yvonne fing an zu würgen. Sie wand das Handgelenk aus Velascos Griff und floh. Sie wollte so schnell wie möglich fort aus der Gegenwart des Hexers. Offenbar zählte er sie bereits zur Familie – als Mutter seines zukünftigen Erben.
    Ein Geräusch ließ sie herumfahren. Das braune Pferd raste auf sie zu. Der Hengst hatte sich losgerissen und stürmte in Panik den Hang hinauf.
    Yvonne schrie. Der Hengst würde sie niedertrampeln. Dann war Velasco plötzlich neben ihr, packte sie am Arm und riss sie zur Seite. Mit lautem Gebrüll versuchte er den Braunen vom Kurs abzubringen.
    Aber es war zu spät. Der Hengst sprengte an ihnen vorbei – und verfing sich in dem halb geöffneten Tor. Ein Teil des Tiers verschwand und tauchte gleich darauf wieder auf. Doch was da auf dem abschüssigen Hang in die Menge rutschte, hatte keine Ähnlichkeit mehr mit einem Pferd. Die Hinterhand hatte sich aufgelöst . Anstelle von Muskeln und Sehnen wirbelte ein fahles, buntes Feuer in der kalten Luft. Dieselben Flammen loderten in den Augen des sterbenden Tiers. Ein Geisterross. Verzweifelt zuckten die Vorderbeine und griffen aus. Dann sanken Hals und Kopf zur Seite.
    Der Stallmeister, der Schmied und der Abdecker rannten herbei. Doch es gab nichts mehr zu tun, außer den Kadaver wegzuräumen – einen halben Kadaver.
    Yvonne presste die Hand auf den Mund und kämpfte gegen eine Welle der Übelkeit. Erst jetzt merkte sie, wie stark sie zitterte und schwitzte. Sie grub die Fäuste in ihren Rock, bis die Stellen ganz zerknittert waren.
    Es war ihre Schuld. Sie hatte das Tor geöffnet und nicht genug Kraft besessen, es wieder zu schließen. Alles war ihre Schuld – alles Verdrehte und Falsche, das sich ereignete, seit sie zum ersten Mal mit schwarzer Magie in Berührung gekommen war. Denn es war schwarze Magie, ein Tor zum Öffnen zu zwingen.
    »Schnell! Bringt die Fürstin des Feuers zurück auf ihr Zimmer«, hörte sie Velascos Befehl. »Sie fühlt sich nicht wohl. Sie soll sich hinlegen und sich ausruhen.«
    Oriana kam zu ihr und legte den Arm um sie. Die kleine Satanistin führte sie zurück ins Schloss und dort hinauf ins Obergeschoss, wo die Räume der Fürsten lagen. Die plötzliche Fürsorge verwirrte Yvonne. Als sie sich bedanken wollte, war Oriana bereits gegangen.
    Sie warf die Tür ins Schloss, legte den Riegel vor und ließ sich mit dem Gesicht nach unten auf das Bett sinken. Jähes Schluchzen schüttelte sie. Sie grub die Finger in die Kissen, so fest sie konnte.
    Ravenna hatte ihr die größte Chance ihres Lebens weggenommen – ihren Platz in einem echten Hexenzirkel. In der Runde der Sieben. Dass sie ihre Schwester mit Lucian betrogen hatte, war nur ein schwacher Trost. Denn er war nicht freiwillig zu ihr gekommen: Ein Liebesbann hatte bewirkt, dass er sich wie ein zahnloses Hündchen von ihr führen ließ. Sie war absolut sicher, dass er sich an nichts erinnerte – dafür sorgte der Bindezauber, den sie damals gewirkt hatte. Wenn Ravennas Ritter in jener Nacht bei klarem Verstand gewesen wäre, hätte er sie vermutlich mit einem Fußtritt aus dem Bett befördert, als sie sich zu ihm legte.
    Und was hatte sie nun davon? Sie musste sein Kind austragen – dafür sorgte Velasco. Einen armen, unschuldigen Jungen, der bereits jetzt der Mittelpunkt zahlreicher Intrigen, Begierden und Lügen war. Und sie war zur Gefangenen des Burgherrn geworden.
    »Es tut mir leid«, flüsterte sie in die nach Yasmin und Lavendel duftenden Kissen. »Es tut mir leid.«

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